Nie gehört – und verliebt


B
log-Nr. 405




Sassofortino, nie gehört vorher. Auf Google Maps gesucht, aha, in der Nähe von Siena, und Erinnerungen und Bilder vor Augen, diese wunderbare toskanische Landschaft, die sanften Hügel, das Grün, das Licht, der Geruch, die Stimmungen, die Sonne, die untergeht, der Wein, die Oliven, die Zypressen, die Bars, das Essen, der Café, der Piazza del Campo, der Negroni, ach, die köstlichen Pici, Michelangelo, Dante.

Das Dolce Vita.

Und dann sind wir da, in Sassofortino, ein Freund hat seit einigen Jahren ein Haus dort, aber Haus ist der falsche Name, ein Kunstwerk, eine Oase, «La Piana» heisst es, der Flurname, gebaut in verschiedenen Etappen, auf Mauern, die viele hundert Jahre alt sind, und rundherum nur grün, grün, grün, wenigstens jetzt noch, Ende Mai, der Sommer beginnt erst. 1000 Olivenbäume, ein Kork- und Kastanienwald, 34 Hektare gross, am Horizont das Tyrrhenische Meer und, wenn die Sicht gut ist, die Insel Giglio (ja, diese, Kapitän Schettino!).

Ein Traum.

Wo sich das Dorf trifft: Bar «Il Glicine»

Und eben Sassofortino, dieses Dorf oder Dörfchen, einige hundert Einwohner, und in der kleinen Bar «Il Glicine» trifft man sich, morgens früh, mittags, abends sowieso, spät abends auch noch, mehr Männer als Frauen, aber auch Familien kommen, der Maler Gastone, die Maurer Emiliano und Antonello, der Elektriker Miki, der Schreiner Roberto, der Landarbeiter Thomas, der pensionierte Franco, viele andere  – und alle kennen sich und alle brauchen einander, und auch Michi, unseren Freund, begrüssen sie herzlich, denn der Maler, der Maurer, der Elektriker, der Schreiner, der Landarbeiter, der in Pension, man hat das Gefühl, alle im Dorf, haben ihm geholfen, beim Bau der «Piana».

Die Bar, seit 1920 gibt es sie, ist schlicht, ein paar Tische und Plastikstühle draussen, ein langer Bartisch drinnen, das Nötigste zum (guten) Leben, in Gestellen, viele Flaschen, Davidone schenkt aus, ein grosses Glas Weisswein aus dem Dorf, der Vino sfuso, der kein Fusel ist, für 2.5 Euro.

Davidone an der Bar

Draussen am Strassenrand stehen keine Ferraris oder Harley Davidsons, sondern Autos mit sicht- und spürbarer Vergangenheit, viele Apes, die Bienen auf italienischen Strassen, eine Vespa auf drei Rädern mit der Ladefläche hinten. In allen Farben sieht man sie, und die meisten haben eine sehr, sehr lange Vergangenheit, bei einer hat man das Gefühl, sie steht nur noch am Strassenrand, fährt aber nicht mehr. Die Ape wird ja auch nicht mehr produziert.

Apes statt Ferraris

Einen kleinen «Coop» hat es noch im Dorf, einen Alimentari und das «Ristorante da Momo» ist das einzige im Dorf, für 20 Euro kann man essen und trinken und, wie fast überall in Italien, nicht schlecht.

Und sonst: Nicht viel. Die Chiesa di San Michele Arcangelo, der Pfarrer ist seit ein paar Jahren ein Neuer, der frühere musste die Kirche verlassen, er hat von der Gemeinde Geld bekommen für Flüchtlinge, nie aber solche aufgenommen, auch das erzählt man sich in der Bar «Il Glicine», es wird wohl stimmen; dann einen Fussballplatz, ein Wegweiser an der Via Giuseppe Garibaldi führt zu ihm, dem Campo Sportivo, der aber nur eine ziemlich ungemähte Wiese ist, mit Toren drauf, die bei einem scharfen Schuss wohl umfallen würden, doch es scheint kaum jemand darauf zu schiessen; und auch eine Burg hat es, etwas ausserhalb des Dorfes, das Castello di Sassoforte, erstmals 1076 in einem Dokument erwähnt.

Der Campo Sportive, ungemäht

Das ist Sassofortino in der Toskana, dieses Dorf, von dem ich bis vor kurzem nie etwas gehört habe, 40 Kilometer von Siena entfernt, 45 Minuten zum Meer, eigentlich nur ein Ortsteil von Roccastrada, dem Hauptort, gelegen auf einem Hügel unterhalb des Berges Monte Sassoforte, er ist 789 m über Meer.

Nie gehört und jetzt verliebt, in das Dorf, in die Bar, in die Menschen dort, das «La Piana». Und ich denke: Es gibt hunderte, tausende, zehntausende, hunderttausende Orte von denen wir nie etwas hören, die wir nie kennen lernen – und die alle eine wunderbare Geschichte haben. Um sich zu verlieben.

Grazie Michi.

Pool, 1000 Olivenbäume – und in der Ferne das Meer



Eine nächste musikalische  Lesung 21. August
im Garten  bei «Culture Time» in Winterthur 


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