Klatsch in Cas Concos


Stadtgeschichten (5)



Ich bin für einige Tage nicht in Zürich, nicht beim morgendlichen Kaffee mit Zeitungen-Lesen in meinem Bistro im Seefeld, höre keine Stadtgeschichten vom Nebentisch.Ich bin wieder einmal in Cas Concos, diesem kleinen wunderbaren Dorf im Südosten von Mallorca, und ich erinnere mich an einen Text, den ich vor bald zehn Jahren geschrieben habe, auch über Gespräche und Geschichten, von Menschen im Dorf hier, die ich gesehen habe und es mich interessiert hat, worüber sie reden. Das Café, vor dem sie damals jeweils sassen, gibt es nicht mehr, es ist geschlossen und es hängt eine Tafel an einem Fenster, «se alquila», man kann das Lokal mieten. Sie sitzen jetzt, es sind bestimmt noch einige von damals dabei, etwas weiter oben auf der anderen Strassenseite in einem Bistro.


Dorfklatsch, auch über Amore


Die alten Männer sitzen auch an diesem Morgen auf ihren Stühlen, oben an der Strasse, die durchs Dorf führt, die (wenigen) Autos müssen manchmal ausweichen, damit sie vorbeikommen, die Stühle stehen einige Meter draussen auf der Strasse.

Und die Männer sitzen morgens um acht, und einige – und oft die gleichen – sitzen auch abends noch, auf dem gleichen Stuhl, sie reden, sie schweigen, sie reden laut und gestikulieren dazu, sie schweigen auch laut, so dünkt es einen, sie reden ohne Worte miteinander, rauchen eine Zigarette, vor sich ein Glas oder auch der fünfte Espresso oder beides.

Ich schaue ihnen oft zu, und eine Stelle aus dem starken Buch «Die Frau auf der Treppe» von Bernhard Schlink, das ich lese, kommt mir in den Sinn: «Immer wenn ich in einem fremden Land bin, frage ich mich, ob ich hier glücklich wäre. Wenn ich durch die Strassen laufe und an einer Ecke Menschen zusammensitzen und reden und lachen sehe, denke ich, wenn ich hier lebte, stünde ich jetzt auch fröhlich mit anderen um diese Ecke?»

Worüber reden die Männer an der Strasse in Cas Concos? Reden sie auch darüber, worüber Leonard Cohen singt, den ich abends höre, auf seinem neuen Album. Über ungestillte Liebes- und Lebenslust, Hoffnungen und Einsamkeit? Er ist der ewige Verführer mit seinen oft düsteren Worten, auf dem bluesigen Song «Slow» tönt es so:

«Ich habe es immer langsam gemocht/
Ich habe es nie schnell gemocht/
Mit dir muss es gehen/
Mit dir muss es dauern/
Es ist nicht, weil ich alt bin/
Es ist nicht das Leben, das ich geführt habe/
Ich habe es immer langsam gemocht/
Das hat meine Mamma gesagt.

Cohen, eben (damals, 2014) achtzig geworden, stützt sich auf dem Cover des Albums auf einen Spazierstock. Wie manche alte Männer hier auch, wenn sie irgendwann einmal doch noch aufstehen, manchmal erst spät am Abend. Denken sie manchmal auch so, wenn sie hier stundenlang sitzen, wie Cohen am Ende auf «Did I Ever Love You» mit seiner rauchigen Stimme singt:

Die Zitronenbäume blühen/
Die Mandelbäume welken/
Es ist Frühling und es ist Sommer/
Und es ist für immer Winter/
Habe ich Dich je geliebt?
Ist das wirklich wichtig?
Habe ich dich je bekämpft?
Du brauchst nicht zu antworten/
Habe ich dich je verlassen?
War ich jemals fähig?
Neigen wir uns immer noch
Über den alten Tisch?

Javier (er führt in Cas Concos das Restaurant Can Mel) begleitet mich zu den alten Männern an der Strasse. Was reden sie, wenn sie reden und nicht schweigen? Javier fragt sie. Sie schauen sich an, die alten Männer. Und schweigen anfänglich. Und reden dann untereinander und durcheinander, lachen zwischendurch und finden es komisch, dass einer wissen will, worüber die reden, von morgens bis abends.

Javier übersetzt und sagt, sie reden, wie alle reden, in den Dörfern, und als er ein Jahr in Berlin war, hätten sie auch in seinem Quartier so geredet. Darüber, was andere tun würden, jene, die gerade vorbeilaufen und jene, die vielleicht gerade vom Tisch aufgestanden und weggegangen sind, Klatsch halt, Dorfklatsch wie überall auf der ganzen Welt.

Und? «Amor?», natürlich, «sí,sí», sie lachen jetzt laut, reden lange, und Javier sagt nachher, das könne er nicht übersetzen, sie hätten von früher gesprochen, von ihren Eroberungen, aber heute, da gäbe es zu wenige Frauen im Dorf.

Lesen sie Zeitung, die lokale von der Insel wenigstens, interessiert es sie, was passiert auf der Welt? Sie lachen wieder, und Javier übersetzt: Ihre Welt sei Cas Concos, die Strasse hier, sie würden sich doch keine anderen Sorgen machen wollen. Sie seien doch zu alt dafür.

(Dieser Text ist aus dem Jahr 2014, leicht bearbeitet)



Und wenn ich jetzt durch die vielen kleinen Dörfer fahre, hier auf dem Land durch Mallorca, dann sehe ich überall vor allem ältere Leute, fast nur Männer, die am Strassenrand sitzen, vor Cafés oder ihren Wohnungen, und sie reden und diskutieren oder sitzen im Licht der aufgehenden oder nachher wieder verschwindenden Sonne einfach auf ihren Stühlen, meist aus Plastik.

Und auch jetzt frage ich mich: Worüber reden sie, den ganzen Tag lang? Wohl über das Gleiche wie alle, wie in Cas Concos, Berlin oder Zürich, nur sitzen sie hier alle draussen. 

Die Mallorquiner haben dafür einen festen Ausdruck: «prendre sa fresca», die Frische nehmen. Oder es heisst auch: «la charla al fresco», man könnte es so übersetzen: Palaver in der Abendfrische. Ein spanisches Dorf hat vor einem Jahr die Unesco beantragt, dies als Weltkulturerbe zu anerkennen.





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