Wir sind «wir»


Fredys EM-Blog – Nr. 11


In elf Städten in elf Ländern, es ist eine sonderbare Fussball-Europameisterschaft in diesen Zeiten. In diesem EM-Blog möchte ich über beides schreiben, Gedanken zum Turnier, das in diesem Sommer stattfindet, aber immer noch Euro 2020 heisst, manchmal nur mit Bildern – aber auch mit Texten von früher zeigen, wie es einmal war, als eine EM nur in einem Land (oder höchstens zwei Ländern) ausgetragen wurde. 

Wir sind «wir»


Es ist ein Morgen in einem Café, zwei Tage vor dem Spiel der Schweizer gegen Spanien. Ein Morgen wie viele andere in diesem Café, einige sitzen allein an einem Tisch, vertieft in eine Zeitung (immer weniger) oder in ihre Handys (fast alle), einen Espresso vor sich oder einen Cappuccino mit Gipfeli, und an einem Tisch sind es vier Männer, sie arbeiten wohl alle nicht mehr, die Zeitungen haben sie gelesen, leere Kafitassen stehen noch da, jetzt reden sie.

Einer sagt, und er nimmt nochmals die Zeitung in die Hand, sucht die Seite mit dem Spieltableau der EM, und er sagt «wir», und er sagt es sichtlich stolz, er sagt nicht «sie» sondern: Wenn «wir» im Halbfinal sind, dann spielen «wir» wohl gegen Italien, und er schaut nochmals auf die möglichen Paarungen, und im Final vielleicht gegen England oder die Dänen, aber das ist «uns» doch gleichgültig, wer da kommt. «Wir» sind bei dieser EM nicht mehr aufzuhalten, sagt er. Er lacht, die anderen nicken.

Die Zeitungen und der Espresso im Café.

Eigentlich interessiere ihn Fussball wenig, sagt einer der vier, aber das sei schon grossartig, «wir» haben es denen gezeigt, diesen arroganten Franzosen. Er will jetzt aber etwas zum Verkehrsrichtplan der Stadt Zürich sagen, er hat eben darüber gelesen, und über diese linke Regierung und die Parkplätze, die sie überall wegnehmen, doch die anderen wollen davon nichts wissen. Das sei nur Chabis, jetzt.

Sie reden lieber nochmals vom Montagabend, von diesem Wahnsinnsabend, sie sagen, sie hätten das Spiel auf dem deutschen Sender geschaut, dieser Schnurri da beim Schweizer Fernsehen, der sei einfach zu laut und zu schreierisch, aber die da auf dem ARD oder ZDF, sie wüssten gar nicht mehr, welcher Sender es war, dieser Reporter sei wirklich kompetent und sachlich gewesen und habe auch sehr viel gewusst über «uns».

Sie reden noch einige Zeit weiter, dieser Petkovic sei einfach eine Persönlichkeit, ein Monsieur, der habe Stil, und ob die Spieler nun vorher bei der Hymne singen würden oder nicht, das sei doch egal, er, und sein Züridütsch ist rein, könne doch auch keine einzige Zeile von dieser Hymne, obwohl singen könne er schon, und alle lachen jetzt. Und ob nun einer ein -vic am Ende habe oder Sommer heisse oder Winter oder Meier oder Müller, das sei doch egal, sagt einer. Sie nicken wieder.

Und bevor sie im Café den Kellner rufen und die Rechnung verlangen, sagt einer noch: Also wenn «wir» am Freitag gewinnen, und «wir» gewinnen sicher, dann gehe er am Samstag zu seinem Coiffeur und lasse sich die Haare blond färben.

Sein Kopf ist ziemlich kahl. Jetzt lachen die vier älteren Männer laut. Darauf wollen sie nun nochmals etwas trinken, es sind keine Espressi mehr, der Kellner bringt Gläser und eine Flasche, es ist inzwischen bald Mittag.


Der weitere Weg an dieser Euro.

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