Heimkommen


Stadtgeschichten (9)


Das ist keine Stadtgeschichte. Oder doch. Eine Geschichte über ein kleines Dorf auf einer Insel. Und dem Gefühl von Heimat. Oder besser: Ein Dorf mit dem Gefühl, es sei zur Heimat geworden, zur zweiten Heimat.




Früher, als Kind, war es das Tessin, der Lago Maggiore, die linke Seite von Bellinzona aus gesehen, Gambarogno, als grosse Gemeinde existiert es erst seit 2010. Damals, eben als Kind, waren es einzelne Dörfer, San Nazzaro, Magadino, Gerra, Vira, Orgnana, ein Ortsteil von Magadino, ach, diese schöne Namen. Überall waren wir mit den Eltern in den Sommerferien, immer am Lago Maggiore, immer auf dieser Seite, nur dieser Seite, und immer war es das Gefühl von Nach-Hause-kommen-und-alles-kennen, eben eine zweite Heimat.

Wie jetzt. Mallorca, diese Insel, jahrzehntelang gemieden – Mallorca? Sicher nicht! Ich? Dorthin? Nein, nein, nie! Niemals! –, dann entdeckt, aus Zufall, weil mich jemand überredet hat, zum Glück. Und mich vom ersten Moment an verliebt, bezaubert von diesen hundert schönen Ecken der Insel, immer wieder andere, und irgendwann bin ich meist nur noch in einer geblieben, im Südosten, in diesem Dorf, eigentlich mehr ein Kaff, nicht mal tausend Einwohner - Cas Concos! Auch ein schöner Name.

Ich bin jetzt wieder hingegangen. Und, es tönt nach Kitsch, aber es ist so, tatsächlich, als ich losfuhr vom Flughafen in Palma und im Auto das Inselradio gewählt habe, dieses Lied, ja, genau dieses Lied wurde in diesem Moment gespielt ... es steht am Ende des Textes.

Fussballplatz in Campos

Ich fuhr los, kenne den Weg blind. In Campos, dutzende Male schon vorbeigefahren, fünfzehn Kilometer vor Cas Concos, immer hingesehen, dieses Fussballfeld, es ist kein Rasen, nur Sand oder Acker, orangebraun, noch nie habe ich jemanden darauf spielen gesehen, auch jetzt nicht, aber ich habe angehalten, bin ausgestiegen, musste es bildlich festhalten, dachte an den Tag zuvor, das Schüeli in Küsnacht, hunderte von Kindern und emotionale Eltern am Spielfeldrand.

Hier einfach zwei weisse Tore, kein Netz, keine Emotionen, aber es riecht nach Fussball, nach Emotionen, obschon alles so still ist. Poesie ohne Ball.

Und dann, in Cas Concos, dieses Bild, am frühen Abend war es. Maria, sie wird in diesen Wochen 90, die Mutter oder Grossmutter oder Ur-Grossmutter dieser Familie, die ich vor vielen Jahre kennenlernen durfte, sie stand immer hinter dem Ladentisch in diesem Tante-Emma-Laden, in dem man alles kaufen, was man sich nur vorstellen kann, sie steht oder sitzt auch jetzt noch manchmal dort.

Maria, bald 90, und der Tante-Emma-Laden

Aber jetzt sass sie an einem Tisch draussen im Restaurant Can Mel, das ihr Enkel Javier führt. Und vor ihr im Kinderwagen ihre Ur-Enkelin oder gar Ur-Ur-Enkelin, ach, ich komme gar nicht mehr draus, einfach schön ist es, dieses Bild. Sie lächelte. Glücklich. Und ich dachte: Es ist Heimat, hier in Cas Concos, für mich.

Und ja, das soll auch notiert sein. In diesem Laden, in dem wirklich alles, alles, alles zu kaufen ist, auf engstem Raum, jeder Zentimeter der vielen Gestelle mit irgendetwas gefüllt, hier steht auf dem Tisch seit diesem Jahr neu eine Maschine, hochmodern, ich habe das noch nirgendwo auf der Welt gesehen: Man legt eine Note in eine Ablage, höher als der Betrag für den man eingekauft hat, und es kommt automatisch das Retourgeld heraus, in einem Fach die Noten, anderswo das Münz. Quittung wenn erwünscht. Ultramoderne Technologie im Kaff mitten auf Mallorca.

Bar Esperanza in Ses Covetes

Und, ja. Das Meer. Das Licht. Diese Farben. Am Morgen, am Mittag, am Abend, immer wieder anders. Der Sand, den man nachher heimträgt am Körper. Die Bar in Ses Covetes am Naturstrand Es Trenc. Esperanza heisst sie. Hoffnung.

Man sitzt hier und bleibt sitzen, weil man denkt, man will gar nicht hoffen, auf was auch, nur geniessen, wie es ist und es sich anfühlt in diesem Moment, mit dem Licht, dem Meer, das man sanft rauschen hört, weiter weg, den Dünen, dem blauen Himmel und der Sonne, die langsam untergeht am Horizont, Segelschiffe draussen auf dem Meer, ein Negroni vor sich in der Bar, das Licht wird nun rötlich, die Wärme bleibt, ein laues Lüftchen. Auch Poesie.

Gestern war ich hier, und heute, und morgen werde ich wieder gehen, weil es auch hier, am Meer und mit der verbundener Sehnsucht ... ja Heimat, es fühlt sich so an.

Dieses Licht! Diese Farben! Naturstrand Es Trenc

Und deshalb zum Lied. Kitsch, sie werden es nicht glauben und denken, es muss passen zu diesem Text, zu dieser Stadtgeschichte, die ja gar keine ist, es ist, wie sagt man heute? - Fake.

Nein. Bruce Springsteen sang an diesem Morgen im Inselradio «My hometown». Wirklich.





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