Komplizierte Welt


Stadtgeschichten (4)



Es ist grau draussen, und es regnet leicht und die Leute hetzen zum Tram und tragen Regenmäntel und ihre Gesichter sind auch grau, so scheint es, hier von drinnen, durch das Fenster des Bistros gesehen, an diesem grauen Morgen. Menschen passen sich immer dem Wetter an, wenn die Sonne scheint, lachen sie oder wenigstens ihr Gesicht lacht und vielleicht ihr Herz, so hat man das Gefühl.

Es ist der Morgen, an dem am Abend in Zürich auf dem Sechseläutenplatz der Böögg verbrennt wird, oben auf einem Scheiterhaufen, und alle schauen nach oben und warten bis es chlöpft und tätscht, und wir hoffen, aber glauben nicht daran, dass es schnell geht, ganz schnell, denn wenn der Kopf schnell zerfetzt wird und explodiert, dann wird es schnell schön und warm und Sommer, ein langer schöner Sommer, so sagt man, und wir denken es und glauben es doch nicht, richtig.

Und ich denke, während es draussen immer noch grau ist und düster und die Menschen auch grau und ihre Blick düster und gehetzt, ich denke also, es war doch erst Herbst, und alle warnten uns vor dem Winter, vor den kalten Tagen und dass wir frieren werden, weil der Strom fehlt und wir dringend sparen sollten, mit Strom und Wasser und nicht baden in der Wanne, höchstens duschen dürfen.

Und jetzt schauen wir hoch zum weissen Böögg da oben - der Schneemann, es könnte doch auch eine Schneefrau sein, eine Bööggin, oder? -, also zu dieser Person auf dem Scheiterhaufen und denken und hoffen, dass es schnell geht, denn wenn es schnell geht, dann wird der Sommer doch lange schön und warm und regnet es nicht. Und wir können strahlen.

Doch wenn es nicht regnet, dann fehlt das Wasser und die Stausees werden nicht gefüllt, und dann kommt der Herbst und wir werden wieder warnen müssen vor dem Winter, denn ...

Ach, die Welt ist so kompliziert.

Wenigstens regnet es jetzt nicht mehr draussen, nach diesem letzten Satz, an diesem Morgen im Bistro, es ist elf Uhr. Und sicher thront der Böögg oder die Bööggin jetzt beim Bellevue vorne, stolz, und wartet, was kommt. Und der Himmel ist gar blau, jetzt.


PS: Ich befürchte, nach dem Frühling kommt in diesem Jahr gleich der Winter: Der Böögg war erst nach 57 Minuten kein Böögg mehr. So lange hat es noch nie gedauert.


 
 
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