Es tat gut

Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 7)
 

Es gäbe Gründe, das auch so zu sehen. Diese traurigen Augen von Lionel Messi. Es ist seine fünfte und wohl letzte Weltmeisterschaft, und wir Messianer wünschen uns doch, dass er endlich auch mit Argentinien ganz glücklich wird und nicht immer hören muss: Diego war es, du nicht – Weltmeister. Und jetzt trottete er einsam vom Rasen des Lusail-Stadion von Katar, leer sein Blick, gedemütigt.

Von Saudiarabien. Ausgerechnet Saudiarabien. Diesem Land, das punkto Menschenrechte und Freiheit ebenso wie Katar in einem schlimmen Ruf steht, dort alles vielleicht noch schlimmer ist. Solche Gedanken könnten manches trüben.

Die Freude der Saudis

Doch sie sollen nicht. Es soll um Fussball gehen, nur um dieses Spiel mit diesem Ausgang, einer der grössten Sensationen überhaupt in der Geschichte des Balles, diese glücklichen und auch etwas ungläubigen Gesichtern von Spielern, deren Namen wir noch nicht gehört haben und wir nur mit Mühe aussprechen und uns kaum merken können; diesen Bildern aus dem Stadion, es war so laut, so überbordend, so bewegend, irgendwie schien es, jetzt habe diese Fussball-WM doch noch begonnen. In Saudi Arabien gleich mit einem nationalen Feiertag, den sie auf Mittwoch kurzfristig ausgerufen haben.

Und, täusche ich mich, habe ich es übersehen, abgelenkt von dem, was auf dem Rasen passierte? War Gianni Infantino, der sich (auch) als Katarer fühlt, tatsächlich gar nie im Fernseh-Bild, mussten wir sein Gesicht und sein aufgesetztes Strahlen diesmal nicht ertragen?

Es tat gut. Und es war gut für den Fussball. Dieses 2:1 von Saudiarabien gegen Argentinien, das zuvor 36 Spiele nacheinander nicht verloren hatte.

Die Traurigkeit von Messi

Und ja, soviel zur Moral. Das Online-Magazin «The Athletic» meldet, dass Lionel Messi auf der Payroll des Tourismusverbandes des betont homophoben Saudiarabien steht, wie die «Süddeutsche Zeitung» schreibt.

Und auch das wusste die «Süddeutsche»: 1986 soll der argentinische Nationaltrainer Carlos Bilardo seinem Team klare Instruktionen gegeben haben, was das Gepäck betraf. Die Spieler sollen einen Anzug und einen Bettlaken einpacken: «Den Anzug für den Fall, dass wir Weltmeister werden. Das Laken für den Fall, dass wir in der ersten Runde ausscheiden und nach Saudiarabien auswandern müssen.»

Die Argentinier wurden damals Weltmeister. Zum letzten Mal. Mit Diego Maradona. Messi noch nicht auf der Welt.

Saudiarabien - und einen Tag später Japan. 2:1 gegen Deutschland, die nächste riesige Überraschung, das nächste verrückte Spiel, der nächste grosse Favorit, der bangen muss, ob er die WM nicht schon bald wieder verlassen muss.

Aber das Schöne: Das Spiel, der Fussball ist jetzt in den Mittelpunkt gerückt. Vor dem Spiel hielten die deutschen Spieler beim Mannschaftsfoto die Hände vor den Mund, Und Innenministerin Faeser sass auf der Tribüne neben Infantino – und trug die für den Captain verbotene «One Love»-Binde.

Die Geste der Deutschen vor dem Spiel

Ein stiller Protest. Es tat gut. Man redet von Saudiarabien und Japan.

Der Fussball müsse die Welt nicht retten, schreibt mein früherer Arbeitskollege Thomas Schifferle am Mittwoch im Tages-Anzeiger, und wie sehr die grösste Sportart überhaupt dazu verleitet, die Empörungsmentalität auszuleben. Es ist lesenswert:

Von Thomas Schifferle, Tages-Anzeiger

Als Roger Federer im März vergangenen Jahres sein Comeback gab, war die Aufregung gross. Natürlich, weil die Aufregung immer gross ist, wenn es um den Heiligen des Schweizer Sports geht. Aber nicht einer stellte öffentlich die Frage, wieso er das in Doha machen muss.

Beat Feuz und Corinne Suter gewannen letzten Winter Gold in den olympischen Abfahrten. Die Freude war gross im kleinen Land. Aber nicht einer stellte ihre Erfolge infrage, nur weil sie diese in Peking errungen hatten, Peking, Hauptstadt einer Diktatur.

Und jetzt? Sollen Fussballer zwar nicht gleich den Weltfrieden retten, aber zumindest zu politischen Aktivisten werden. Die Kritik prasselt auf die Mannschaften ein, weil sie bei der WM in Katar nicht zur «One Love-Binde» stehen. Dass sie einknicken vor dem Machtapparat der Fifa, wird ihnen als Feigheit ausgelegt. Bei einer Umfrage auf Bild.de fordern 48 Prozent der Teilnehmer, die deutsche Mannschaft müsse umgehend abreisen.

Fussballer sollen Ausrufezeichen setzen, die weder von der Politik noch der Wirtschaft kommen. Fussballer sollen sich in einen Machtkampf mit der Fifa verstricken und ihren Erfolg an der WM gefährden, während der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck den Bückling macht vor dem katarischen Handelsminister, weil Deutschland Gas von Katar will, um sich von Russland loszulösen. Bundeskanzler Olaf Scholz macht in Saudiarabien vor Mohammed bin Salman den Diener. Und Bundesrat Ueli Maurer fühlt sich auch ganz wohl in Katar.

Die Wirtschaft will das Geld von Katar. Das Land hält über seinen Staatsfonds 5 Prozent an der Credit Suisse, die wiederum in Saudiarabien um 1,5 Milliarden Franken bettelt, um einen Weg aus der Krise zu finden. Katar ist ein wichtiger Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial. Hotellerie und Spitäler streben nach Partnerschaften am Golf. Alles geht in eine Richtung: Die Schweiz verkauft Luxusgüter, Katar kauft sie. Katar ist wirtschaftlich eng verwoben mit Frankreich, England und Deutschland.

Die Weltunternehmen Adidas, Coca-Cola, Visa, Anheuser-Busch (Budweiser) oder McDonald’s sind Partner der Fifa. Mit ihrem Geld tragen sie wesentlich zum Rekordergebnis des Weltverbandes bei, der in den vergangenen vier Jahren 7,25 Milliarden Euro eingenommen hat.

In diesen Tagen ist eines wieder einmal besonders spürbar: die Empörungsmentalität, wenn es um den Fussball geht. Nirgends wird sie mehr ausgelebt als beim grössten Sport überhaupt, nirgends ist es einfacher, mit dem Finger auf andere zu zeigen und dem puren Populismus anzuhängen.

Gianni Infantino, Oberhaupt der Fifa, macht es einem in dieser Beziehung extrem leicht. Und das Geld, das den Fussball in der Spitze überschwemmt hat, trägt wesentlich dazu bei, sein Image negativ zu beeinflussen und Spieler als verwöhnt und verkommen darzustellen. 222 Millionen Euro Ablösesumme für einen Spieler, für Neymar – das kann eigentlich nur abstossen, vor allem, wenn dieses Geld aus Katars Kasse kommt.

Die Spieler sind Günstlinge eines Systems, das Fernsehanstalten und Werbepartner mit dem Einsatz von Milliarden geschaffen haben. Aber sie nehmen bloss, was ihnen angeboten wird. Und jetzt nehmen sie sich das Recht heraus, sich einen Traum zu erfüllen und eine WM zu bestreiten. Das wollen sie, ob nun «One Love» oder «No Discrimination» auf der Captainbinde steht.

Feige? Oder einfach verständlich?

Nur eine Bemerkung dazu: Ich würde zuletzt kein Fragezeichen setzen. Es ist beides:

Feige und Verständlich
.

 
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