«Wo bist du?»


Fredys EM-Blog – Nr. 7

In elf Städten in elf Ländern, es ist eine sonderbare Fussball-Europameisterschaft in diesen Zeiten. In diesem EM-Blog möchte ich über beides schreiben, Gedanken zum Turnier, das in diesem Sommer stattfindet, aber immer noch Euro 2020 heisst, manchmal nur mit Bildern – aber auch mit Texten von früher zeigen, wie es einmal war, als eine EM nur in einem Land (oder höchstens zwei Ländern) ausgetragen wurde. Einige Erlebnisse von damals.

«Wo bist du?» – «Ich bin da»


Dem Handy sagten damals bei uns alle noch Natel, es war nicht viel mehr als ein Telefon und schon gar nicht ein Fotoapparat, aber es konnte damals erstmals auch Textdaten übermitteln. Und das machte unsere Arbeit als Journalist viel einfacher. Eine Kolumne von der
 EM 1996 in England. 

Wunde Knie hatten wir manchmal, wir fluchten und lagen unter irgendeinem Hotelbett, suchten dort oder hinter dem Schrank verzweifelt den Telefonanschluss, hatten ein Kabel in der Hand und einen Stecker, und manchmal war es das falsche Kabel und/oder der falsche Stecker, und wir verdammten alles, unseren Beruf, der gar nicht mehr Journalist war, sondern Techniker.

Übermitteln sollten wir, unsere Texte aus irgendeinem Hotel in irgendeinem Land an die Heimredaktion durchgeben, und wenn das Kabel und der Stecker vielleicht einmal gar passte, dann war die Leitung zu schwach, gab es störende Geräusche, oder sonst etwas ging nicht. Wir lagen halbe Nächte wach, im Hotelzimmer und nirgendwo anders, und wählten ständig, verzweifelten und wussten, dass der Redaktionsschluss eigentlich längst vorbei war, unser Text aber immer noch im Computer. Hörer reinwuchten, Pfeifton, pressen, drücken, Pfeifton, bis das Licht grün wird, Hörer halten. Oft Abbruch, Neubeginn.

Einst: Texte mussten mit einem Akustikkoppler übermittelt werden.

Tempi passati. Vorbei. Keine besonderen Kabel mehr im Gepäck und keine Stecker, auch keine Gebrauchsanweisungen und Spickzettel für Fälle in der Not, die immer war. In Rom, in London, in München, Manchester oder Madrid, wo auch immer, im Hotel, im Stadion, auf dem Flughafen, im Taxi, wenn es ganz eilig ist; auf der Piazza Navona, notfalls, nur theoretisch, auch in einer Bar oder sonstwo – wir sind mobil, wo und wann immer wir wollen.

Natel heisst das kleine technische Wunderding, ein kleines und immer das gleiche Kabel dazu, verbunden mit dem Computer, und ab geht die Post, das heisst der Text, in Sekundenbruchteilen. Ein Natel hat inzwischen fast jede(r). Und so piepst und tönt und schrillt und (bei einigen) musiziert es in schönsten Melodien in diesen Tagen ständig in England, wenn irgendwo Journalisten sind manchmal auch im Chor, und alle greifen schnell zum Hosensack oder zur Jackentasche, und tun's oft vergeblich, weil es das andere war, das piepste, schrillte oder eben musizierte.

«Wo bist du?» – Ah, ja, natürlich zu Hause im Büro. Wollte nur sagen ich habe Jetzt das Natel eingeschaltet. Kannst mich immer anrufen. – Ich warte. Tschüss.»

«Ciao, ich möchte es Dir nur rasch sagen, ich liebe d ... (Stille) – Was? Wer ist dort? Du auf der Redaktion. – Oh, sorry, ich habe den falschen Knopf gedrückt. Ciao.»

«Hallo. – Nein, nichts Besonderes. Ich bin da. – Wo? – Da, im Bus, irgendwo in Birmingham. Es regnet.» - (Knack, Leitung zusammengebrochen, neuer Versuch.) – «Bist du es wieder? Es regnet immer noch. Nein, sonst wirklich nichts Besonderes. Tschüss»

Die Knie sind nicht mehr wund. Dafür die Finger. Und die Ohren schmerzen. (Auch) selber schuld.


So war es damals vor 25 Jahren, in England, bei der EM 1996. Zum ersten Mal nur noch mit Natel und Computer unterwegs.
 

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