Blauweisser Frust
Blog-Nr. 435
Er liebt Italien, liebt Musik, liebt Bücher, liebt Theater, aber er liebt vor allem eines und lebt dafür: Er ist Fan des FC Zürich. Seit Kindeszeiten, weil der Vater schon Fan des FC Zürich war, er ist aufgewachsen mit dieser Liebe.
Blauweiss, das sind seine Farben.
Er ist seit Jahrzehnten bei fast jedem Heimspiel dabei, sein Leben ist darauf ausgerichtet, wenn der FCZ spielt, hat nichts anderes Platz, er sitzt manchmal auf der Haupttribüne und geht oft aber auch in die Südkurve, weil er spüren will, wie die treuesten und lautesten Fans denken; er feiert, er leidet, er jubelt, er zittert mit seinem Verein, er liest alles, er ist in Foren, diskutiert manchmal mit, kann, wenn man ihn fragt, Spieler aufzählen, die, beispielsweise, man kann auch jedes andere Jahr nehmen, 1999 im Kader standen. Er weiss alles.
Weil es für ihn nur den FCZ gibt. Er hat einen angesehenen Beruf, er schläft, ich weiss es nicht, aber ich denke, es ist so, in blauweisser Bettwäsche. Er lebt blauweiss.
Aber jetzt, in dieser Woche, hat er mir geschrieben.
Er, der FCZ in Person, hoffe, es sei absurd, er wage es fast nicht zu schreiben, aber es sei so, es sei ehrlich: Er hoffe, der FCZ, sein FCZ, verliere nur noch. Er gehe nicht mehr zu den Spielen.
Bis.
Bis, er nennt den Namen nicht, er schreibt nur von DEM, dem BLENDER mit der unglaublichen Machtfülle, der den Trainern, allen, bis hinab zu den jüngsten Junioren, die Mannschaftsaufstellung diktiert, weil er eigene Interessen hat, der Spieler demütigt und verunsichert, im Klub für ein Klima der Angst sorgt.
Er, mein Kollege, schreibt nicht einfach, weil er denkt, es sei so; er hat Kontakte zu vielen im Klub, kennt einige, und alle erzählen ihm das Gleiche.
Mein Kollege war am Samstag nicht am Spiel. Er war bei seinem Dorfverein, er sass auf der kleinen Tribüne am Zürichsee, einer von vielleicht 40. Der Präsident des Dorfklubs war auch darunter, «Jungs, gönnt namal» schrie er manchmal, es regnete und war kalt und nass, und der Präsident bediente auch die Matchuhr und schrieb den Liveticker für die Anhänger seine Vereins, und einer, er ist über 70, sagte auf der Tribüne, er vermisse das Matchprogramm schon, das es aus Kostengründen in dieser Saison trotz Aufstieg nicht mehr gibt.
Die Mannschaft hat bisher erst einen Punkt geholt, jetzt gewann sie zum ersten Mal, der Präsident strahlte, gratulierte im Liveticker, ein früherer Präsident schrieb dazu, darauf habe er ungeduldig seit Wochen gewartet, die Spieler, einige erst 17 oder 18, dankten klatschend am Ende den vielleicht 40 auf der kleinen Tribüne für die Unterstützung.
Mein Kollege schrieb, es habe ihn mit dem Fussball versöhnt, mit dem Fussball meinte er eigentlich seinen FCZ.
Dieser spielte später an diesem Abend auch; er, mein Kollege, ging natürlich nicht hin. Aber er war fast – nicht ganz, denn irgendetwas in seinem Herzen lässt dieses Denken doch nicht zu – glücklich, dass er wieder verlor, zum fünften Mal nacheinander.
Und der Kollege schrieb spätnachts, wann handle Canepa endlich, er müsse diesen, er schrieb wieder, BLENDER, doch endlich und für immer zum Teufel schicken. «Milos raus», das haben sie an diesem Abend im Letzigrund auch in der Südkurve geschrien.
Er, mein Kollege, hätte mitgeschrien.
Mein Kollege schrieb, es habe ihn mit dem Fussball versöhnt, mit dem Fussball meinte er eigentlich seinen FCZ.
Dieser spielte später an diesem Abend auch; er, mein Kollege, ging natürlich nicht hin. Aber er war fast – nicht ganz, denn irgendetwas in seinem Herzen lässt dieses Denken doch nicht zu – glücklich, dass er wieder verlor, zum fünften Mal nacheinander.
Und der Kollege schrieb spätnachts, wann handle Canepa endlich, er müsse diesen, er schrieb wieder, BLENDER, doch endlich und für immer zum Teufel schicken. «Milos raus», das haben sie an diesem Abend im Letzigrund auch in der Südkurve geschrien.
Er, mein Kollege, hätte mitgeschrien.
Milos Malenovic ist der Sportchef.
Nächste Lesung:
30. November 2025, ein Sonntag, 11 Uhr:
Immobilienwerkstatt in Küsnacht
(es hat noch ca 15 Plätze)
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