Arno im Ohr

Fortsetzung Mallorca-Blog
1 Weg auf die Insel und
2 Vergessen gegangen?




Ist es Dienstag oder Mittwoch? Es sind Momente im Leben, da vergisst man den Wochentag, und es ist alles gar nicht so wichtig, vielleicht ist auch schon Donnerstag. Man geniesst einfach. Zeitlos.

Auf einer Insel. Es ist Herbst, aber man fühlt noch den Sommer, den man zuvor so vermisst hatte. Der Himmel blau, das Wasser blau, der Geruch und die Farbe des Meeres, das wunderbare Licht, vor allem gegen Abend, dazu Vollmond, ja, fast kitschig schön; in der Schweiz stürmt es, hört man, nachts sei es gegen null Grad. Man tut wenig auf der Insel, hat endlos Zeit für alles oder nichts und stört sich nicht daran, wenn es nichts ist; man hat einfach nur die Kopfhörer im Ohr, Cohen oder Springsteen oder Faber, auch andere, Fabers Vater Pippo, Träumen im Sand mit Musik.

Oder auch das: «Eisbrecher» heisst der Podcast von Tamedia, es sind längere Gespräche mit Figuren aus dem Schweizer Eishockey, mit Spielern, Trainern, Funktionären, es sind lange Gespräche, die vertieft Einblick geben sollen. Zuletzt mit Arno Del Curto, dem ewigen Trainer des HC Davos, und er spricht auch über die Frage: Warum schaffen es nur wenige, den richtigen Moment für einen Rücktritt zu wählen, warum ist es so schwierig, dies zu erkennen? Er hätte sich viel früher von Davos trennen sollen, und er hätte, kurz darauf, auf keinen Fall zum ZSC zurückkehren dürfen. Ein riesiger Fehler sei das gewesen, sagt er.

27. November 2018: Del Curtos letztes Spiel als HCD-Trainer im Hallenstadion gegen den ZSC.

Und als ich all das höre, auf der Insel, kommt mir eine Kolumne in den Sinn, die ich geschrieben habe vor fast genau zwei Jahren. Del Curto hatte damals genug vom Eishockey, er wollte nichts mehr wissen und er hatte sich auch ganz zurückgezogen, gab keine Interviews, mied die Öffentlichkeit und war kaum erreichbar.

Ich kenne ihn schon lange, er war einst, vor vielen, vielen Jahren der einzige Mensch, der mir bei  Fussballspielen zusehen wollte, aber eigentlich nur aus diesem einen Grund: Er führte jeweils am Freitagabend seinen Hund spazieren, sein Weg führte zum Fallacher, dem Fussballplatz hoch oben über Küsnacht. Und da sassen er und der Hund dann hinter dem Tor, und ich stand im Tor, bei den Senioren, und wir redeten während dem Spiel - und ich verpasste so manchmal auch eine Flanke, «he!», pass auf, hatte er mich zuvor immerhin gewarnt.

Als wir vor zwei Jahren telefonierten, weil wir uns länger nicht mehr gehört hatten, schrieb ich nachher im Tagi diese Kolumne. Es passte ihm nicht, dass in einer Zeitung überhaupt etwas über ihn zu lesen war, aber dann hatte er doch gesagt: Mach, was du willst, schreib einfach nichts Falsches.


Gorillas statt Puck

(3.9.2019 im Tages-Anzeiger)

Er habe es gespürt. Sagt er heute. Er sei kaputt gewesen. Sagt er heute. Es habe etwas nicht mehr gestimmt. Sagt er heute. Es habe Leute gegeben, die gegen ihn gearbeitet hätten. Sagt er heute.

Heute würde er anders entscheiden als damals vor genau einem Jahr, als es immer noch heisse Spätsommertage waren und er immer wieder an den Winter dachte.

Arno Del Curto in Davos. 22 Jahre lang, seit 1996, in jenem Jahr, als die Staatsmänner noch Kohl und Clinton hiessen, war er dort, und es war immer gleich, Tag für Tag, nur den HCD im Kopf. Aber eben, in diesen Tagen im August 2018 spürte er, dass etwas nicht mehr gleich war, es rumorte im Bauch, auch der Kopf hatte grosse Zweifel. Er hätte es beenden sollen, sie haben ihn überredet, zu bleiben.

Wir reden darüber, es ist jetzt September 2019, er sitzt im Auto, irgendwo im Prättigau, runter nach Landquart, er hat endgültig alles abgebrochen in Davos, seine Wohnung abgegeben. Im November war es so weit gewesen, nach 8154 Tagen und 1286 Spielen hatten sich der Club und Del Curto doch getrennt. Nur zwei ­Monate später war er Trainer beim ZSC – wie zwei, die sich einst innig liebten, nach Jahren endlich wieder zusammenkommen, es nochmals versuchen, eine Seite ist immer noch verliebt, aber es fehlt die Kraft. Er bereue seine Rückkehr nicht, sagt Del Curto, er sei einfach kaputt gewesen.

Und jetzt sagt er auf die Frage, was er erfahren habe in diesen Monaten ohne Puck und Eis: dass das Leben heute so viel schöner ist, als er es während vielen Jahren glaubte. Del Curto geniesst. Drei Tage beim Schwingfest, er reist viel, war in Afrika, wo er Ende der Siebzigerjahre in Lagos für eine Baufirma gearbeitet hatte. Er hätte damals nur kurz als Praktikant bleiben sollen, sie hatten aber den Finanzchef verhaftet, er musste die Arbeit als Chief Accountant für 3000 Angestellte übernehmen, er blieb fast ein Jahr. Eine typische Del-Curto-Geschichte. Und jetzt schwärmt er wieder, von Tansania, Sansibar, den Tieren, aber vor allem den Menschen dort, wie die mit wenig leben und doch so ­zufrieden sind, bald will er nach Ruanda, die Gorillas sehen.

Und Hockey? Er habe abgeschlossen, sagt er, es fehle ihm nicht. Nie mehr? Er glaube Nein, sagt er und redet von Freunden, denen er bei ­Start-ups helfe, es mache Spass, er hat viele Ideen im Kopf. Er redet und redet. Und zuletzt sagt er: Aber wenn ich doch irgendwo unter­schreibe – versprochen, einen Tag vorher komme ich nach Zürich, für einen schönen Abend. In der für ihn schönsten Stadt.


Inzwischen, sagt Arno Del Curto nun im Eisbrecher-Podcast, schaue er zwar wieder Eishockey, er freut sich auf nächsten Frühling und die Playoffs in der NHL, aber anderes ist inzwischen in seinem Leben viel wichtiger: Ein Hotelprojekt in Arosa, die Beteiligung an einem Start-up, das Glasabfall zu hochwertigem Baumaterial recycelt, das Golf spielen - und ein Buch über sein Leben und seine Ansichten, wie man ein Team führen und immer wieder motivieren kann. Ein Buch? Er wolle das nicht, sagte er, als die Autorin Franziska K. Müller schon die Hälfte geschrieben hatte, und, typisch Del Curto, vielleicht lasse er nur eines drucken, eines für sich. «Mit Köpfchen durch die Wand» ist der Titel. Es erscheint in wenigen Wochen.

Und eines sagt er im Podcast auch und wird im Buch stehen: Er hätte in Davos früher Tschüss sagen sollen, viel früher, er sei völlig kaputt gewesen, ausgebrannt, ohne Energie und hätte deshalb nachher auch nie, nie dem ZSC zusagen dürfen. Aber: Stünde er nochmals am gleichen Punkt im Leben, «ich glaube, ich würde es nochmals falsch machen, nein, ich bin gar sicher, es wäre so».

Etwas bereuen und gleichzeitig wissen, dass eine andere Entscheidung gar nicht möglich war.
 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Besuch bei Mamma

Kuno Lauener und der Fotograf

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Das Flick-Werk

Chaos bei GC

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!