Der Trick der Oma


Fredys EM-Blog – Nr. 8


In elf Städten in elf Ländern, es ist eine sonderbare Fussball-Europameisterschaft in diesen Zeiten. In diesem EM-Blog möchte ich über beides schreiben, Gedanken zum Turnier, das in diesem Sommer stattfindet, aber immer noch Euro 2020 heisst, manchmal nur mit Bildern – aber auch mit Texten von früher zeigen, wie es einmal war, als eine EM nur in einem Land (oder höchstens zwei Ländern) ausgetragen wurde. Einige Erlebnisse von damals.

Der Trick der Oma

EM 1976: Der Elfmeter von Uli Hoeness in den Himmel von Belgrad.


Jetzt beginnen bei der EM die K.o.-Spiele -– und vielleicht kommt es wieder zum Duell mit den Elfmetern. Die Deutschen  gewinnen dabei (fast) immer, die Engländer verlieren (fast) immer. Am Dienstag treffen sie im Wembley wieder aufeinander. Und die Schweizer? 0:3 gegen Ukraine an der WM 2006, 4:5 gegen Polen an der EM 2016. Granit Xhaka verschoss damals. Eine frühere Kolumne über das Elfmeterschiessen. Auch zu Uli Hoeness, der 1976 verschoss  – seither verloren die Deutschen nie mehr.

Sepp Maier, der legendäre Torhüter aus München, erzählte kürzlich, wie es war damals 1976 bei der EM in Jugoslawien, als es erstmals ein Elfmeterschiessen gab. Jeder habe sich rumgedrückt, keiner habe schiessen wollen vor allem nicht als fünfter und letzter Mann.

«Da hab ich mich selbst gemeldet, um zu schiessen», erinnert sich Maier, aber Franz Beckenbauer habe ihn nur böse angeschaut und gesagt: «Du Depp gehst ins Tor und hältst.» In diesem Moment habe verschämt einer den Finger hochgestreckt und mit Zitterstimme gesagt: «Wenn du meinst, dann schiess den halt ich.» Maier habe da gewusst, «es wird schwierig».

Uli Hoeness war der mit dem Finger, und wie es dann ausging, ist immer wieder zu sehen, wenn zurückgeblickt wird auf die Dramen beim Elfmeterschiessen bei grossen Turnieren. «Den Ball suchen sie wohl noch heute im Stadion», sagt Hoeness und kann inzwischen lachen. Damals in Belgrad wäre er am liebsten in den Rasen versunken. Der Ball flog hoch, sehr, sehr hoch über das Tor.

Fassungslos: Uli Hoeness nach seinem verschossenen Elfmeter.

Und Hoeness erinnert sich auch an etwas anderes: den langen Weg von der Platzmitte zum Elfmeterpunkt, die vielen Gedanken die durch den Kopf gehen, der Körper ist müde, das Knie schmerzt. Und immer wieder die Frage: Wo schiesse ich hin? Hoch, flach, rechts, links, in die Mitte? Scharf, schlenzen, warten, sich vorher festlegen, warten, bis der Torhüter reagiert?

Etwa 18 Quadratmeter gross ist die Fläche, der Torhüter kann mit seinen Armen höchstens ein Drittel davon abdecken aber für den Schützen wird der Mann im Tor immer grösser und das Tor selber kleiner. Der Schütze denkt, der Torhüter denkt, denken sie das Gleiche? Denkt der eine, dass der andere so reagiert, normalerweise so schiesst, sich so hinwirft, oder denkt der eine, jetzt müsse er bewusst anders denken?

Elfmeter sind ein Psychospiel. Und sie bedeuten immer Stress. Für den, der anläuft.

Was dagegen tun? «Es gibt ein paar Tricks», sagte der deutsche Sportpsychologe Jürgen Beckmann kürzlich im «Spiegel», einen habe schon seine Oma gekannt: tief ausatmen. Durch das Ausatmen verlangsame sich der Herzschlag, und das beruhige. Ein anderer Trick: Kurz vor dem Schuss die linke Hand zur Faust ballen. Beckmann erklärt das so: «In Drucksituationen dominiert oft die linke Gehirnhälfte. Der Spieler denkt an Technik. Er will alles richtig machen und konzentriert sich auf die Ausführung des Schusses. Weil das bei einem Profi eigentlich hoch automatisiert ist, verliert er sein Ballgefühl. Wenn der Spieler die linke Faust ballt, aktiviert er die rechte Gehirnhälfte. Dadurch verlässt er sich wieder auf die automatisierte Ausführung, das Ballgefühl ist da und der Ball ist im Tor.»

Alles so einfach. In der Theorie. Mit wohl keinem anderen Aspekt des Fussballspiels hat sich denn auch die Wissenschaft so intensiv auseinandergesetzt wie mit dem Elfmeterschiessen. Für den Leipziger Sportsoziologen Roger Berger aber ohne nützliche Erkenntnisse: «Elfmetertore sind nichts als purer Zufall», sagt er. «Das Paradox besteht darin, dass Spieler versuchen, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen.» Und das genau könnten sie auch bleiben lassen, den letztendlich lande man bei solchen Überlegungen wieder da, wo man angefangen habe. Links oder rechts, hoch, tief, in die Mitte?

24.6.2016, EM in Frankreich: Keine guten Erinnerungen für Granit Xhaka. 

Bei aller Psychologie, Wissenschaft und Tricks von Omas, eines weiss man: Kommt es zu einem Elfmeterschiessen, gewinnen die Deutschen fast immer, die Engländer fast nie. Und der Torhüter der Deutschen, Manuel Neuer, hat bisher (Stand 2012) von 30 Elfmetern 9 gehalten, 39 Prozent. Also! Also? Bayern München, mit Neuer im Tor, hat kürzlich gegen Chelsea den Champions-League-Final im Elfmeterschiessen verloren.

Neuer musste (durfte, wollte) einen Elfmeter schiessen. Nicht wie Maier damals. Geholfen hat es nicht.
 

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