Hodgsons Telefonnummer
Fredys EM-Blog – Nr. 5
In elf Städten in elf Ländern, es ist eine sonderbare Fussball-Europameisterschaft in eigenartigen Zeiten. In diesem EM-Blog möchte ich über beides schreiben, Gedanken zum Turnier, das in diesem Sommer stattfindet, aber immer noch Euro 2020 heisst, manchmal nur mit Bildern – aber auch mit Texten von früher zeigen, wie es einmal war, als eine EM nur in einem Land (oder höchstens zwei Ländern) ausgetragen wurde. Einige Erlebnisse von damals.
Sag ihm, dass ich bald anrufe
Gefeierter Roy Hodgson auf dem Hardturm: Schweiz geht an die WM '94 |
28 Jahre lang waren die Schweizer Fussballer an keinem Endrunden-Turnier mehr dabei gewesen, an keiner WM, an keiner EM. Mit dem Engländer Roy Hodgson kam die Wende, die Euphorie war gross, als sich die Schweiz für die WM 1994 in den USA qualifizierte. Und an der Gruppenauslosung im Dezember in der Glitzerstadt Las Vegas wurde unser Fussball endlich wieder ein Thema. Dazu eine Kolumne.
Der von der «Süddeutschen» ist ein lieber Kollege. Wir waren schon zusammen an vielen Orten dieser Welt, in Stadien und Hotels, aber auch anderswo, und spontan erinnere ich mich an ein kleines Kaff irgendwo im Norden von Mexiko, in der Nähe von Queretaro, damals an einem schwülheissen Sommerabend, 1986 war es, in einer verrauchten Bar auf dem Land.
Nur Mexikaner waren um uns herum, wir haben viel geredet, aber aus sprachlichen Gründen wenig verstanden und doch immer wieder gelacht, bis morgens früh. Der Ball war kaum ein Thema in jener Nacht, aber alles andere, und so war und ist es oft mit dem lieben Kollegen aus München. Und wenn wir einmal doch vom Ball sprachen, sprechen mussten, dann war eben meist von Beckenbauer, dem Kaiser, die Rede oder später von Berti Vogts, von Matthäus oder (lieber) Klinsmann oder auch von dem neuesten Theater bei den Bayern, manchmal stellte er mich einen der deutschen Spielern vor, und so kenne ich einige inzwischen etwas besser. Eben dank ihm, dem lieben Ludger.
Aber jetzt.
Aber jetzt.
Oder der stets so elegant gekleidete Signore aus Mailand. Arbeitet er nun fúr die «Gazzetta», oder ist er der Korrespondent der «Repubblica» aus Rom? Ich weiss es nicht genau oder vergesse es immer wieder. Wie auch seinen Namen. Wir lächeln aneinander stets an, wenn wir uns irgendwo wieder einmal sehen, im San Siro meistens, einige höfliche Worte oder auch nur ein kurzes Ciao, und wenn ich einmal etwas wissen will, über Milan oder Baresi oder Capello oder irgendwen, dann redet er viel, und ich verstehe meist nicht alles, aber er ist stolz auf seine Götter in kurzen Hosen, und er zeigt dies gerne, wie Italiener nun einmal so sind. Mich hat er noch ganz selten etwas gefragt, er weiss nur, dass ich aus Zurigo komme. Das genügt ihm.
Blatter und die Fifa, manchmal war das wenigstens ein Thema. Sag, wird Blatter einmal Nachfolger von Havelange? Und grüsse Guido. Aber jetzt. Oder der Franzose? Er wohnt auf Korsika, schreibt meistens über Marseille. Über Bernard Tapie hätte er viel zu erzählen, er kennt ihn gut, und vor allem weiss er viel, was ganz und gar nicht schmeichelhaft tönt, und eigentlich hätte er darüber gerne einmal auch für den Tagi geschrieben. Aber dann mochte er doch nicht. Wenn er die Wahrheit schreibe, sei es für ihn zu gefährlich, meinte er und lächelte. Platini, Papin oder eben: Tapie, das sind unsere Themen, über Jeandupeux haben wir auch schon einmal geredet, immerhin das, doch für ihn ist dieser sowieso mehr ein Franzose.
Aber jetzt.
Der liebe Kollege aus München, der elegante Signore aus Mailand (oder doch Rom?), der Korse. Sie sind in diesen vorweihnachtlichen Tagen alle auch nach Las Vegas gekommen, der verrückten Stadt mit den grellen Lichtern und den süchtigen Spielern, die alle tage- der zumindest nächtelang vom grossen Glück träumen und meistens viel ärmer wieder abreisen.
Und plötzlich hat sich etwas verändert bei meinen Freunden.
Wo spielt ihr noch überall vor dieser Weltmeisterschaft? Kann man den Roy Hodgson tatsächlich einfach zu Hause anrufen? Hast du mir seine Nummer? Sag ihm, dass ich bald anrufe. Und wer ist der nächste Spieler, der irgendwo ins Ausland geht? Sforza, kommt er bald nach Italien? Hat die Nationalmannschaft jetzt bei euch einen richtigen Boom ausgelöst? Bei der WM komme ich zu euch, ich war so begeistert von eurem Spiel gegen Italien.
Die Schweiz ist auf der Weltkarte des Fussballs erschienen. Und viele laufen stolz herum, im Land der grossen Träume.
Das war im Dezember 1993 in Las Vegas, bei der Gruppenauslosung für die WM 94 in den USA.
Schweizer WM-Qualifikation (1993), SRF Archiv (Youtube)
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