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Es werden Posts vom November, 2020 angezeigt.

Danke dem Ball

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Diego, der Kleine. Diego, der Kleine, heisst Diego, weil es Diego, den Grossen gibt. Aber er kennt Maradona nicht, weiss eigentlich nicht, dass es diesen einmal gab. Es hat ihn noch nie interessiert. Diego, der Kleine, ist erst 6. Es ist eine komplizierte Geschichte. Diego heisst Diego, weil sein Vater hätte Diego heissen sollen. Wegen Diego, dem Grossen. Der anfangs achtziger Jahren schon einmalig war, damals vor allem als Fussballer, erst bei den Boca Juniors, dann bei Barcelona, noch nicht in Neapel. Aber der Vater von Diego, dem Kleinen, durfte damals nicht als Diego auf die Welt kommen, weil es für diesen Namen familienintern keine Mehrheit gab. Als Diego, der nicht Diego hatte heissen dürfen, einen Sohn bekam, war für ihn aber klar: Es muss und darf ein Diego sein. Das war 2014, und Diego, der Grosse, war längst Maradona, eine tragische Figur, die ohne Ball hilflos im Leben steht, überfordert und ausgenutzt, sich zwischen Leidenschaft und Wahnsinn bewegte, gezeichnet von jahrela

Ein Gefangener des Ruhms

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Diego Armando Maradona, ein Leben zwischen Triumphen und Abstürzen. Es war im Juni 1986, in Mexico-City, ein heisser Nachmittag in dünner Luft, 115 000 Zuschauer im Aztekenstadion, wir sassen auf der Medientribüne und glaubten nicht, was wir eben gesehen hatten: Den ersten Engländer. Den zweiten. Den dritten. Den vierten. Den fünften. Den sechsten. Hinter der Mittellinie war Diego Maradona gestartet, mit einer Pirouette, den Ball immer an seinem magischen linken Fuss, wie ein Slalomläufer, manchmal schien er die Balance zu verlieren, aber er fiel nicht um, elf Sekunden war er am Ball, 12 Berührungen, 50 Meter lang sein Weg, die Fifa wählte es später zum Tor des Jahrhunderts. «Genie, Genie, ich will heulen, heiliger Gott, es lebe der Fussball, von welchem Planeten kommst du?», schrie ein Radioreporter. Es war damals in Mexiko Maradonas zweites Tor gegen die Engländer, das erste hatte er mit der «Hand Gottes» erzielt, wie ihm in den Mund gelegt wurde, der «Mano de Dios.» Seit diesem Tag

Bei vielen geht es um mehr – um die Existenz

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Ich wäre vor einigen Tagen gerne im Dachstock in der Reitschule in Bern gewesen und hätte Faber erlebt und über seine zweideutigen Songtexte nachgedacht. Ich würde gerne die Komikerin Helga Schneider im Winterthurer Casino-Theater sehen und mit ihr lachen. Ich hätte im Kosmos in Zürich gerne Axel Hacke zugehört, dem wunderbaren Autor, der, wenn er liest, zu einem Schauspieler wird. Ich hätte im Sommer sehr gerne mit den Toten Hosen auf der Piazza in Locarno getanzt. Ich hatte mich auf «Stephan Eicher’s Chilbi Revue» im Landesmuseum gefreut. Auf Mariza und ihre Fado-Melancholie in der Samsunghalle. Auf Elton John im Hallenstadion. Auf Pippo Pollina bei Kerzenlicht im Rössli in Stäfa. Auf den Beatles-Tribute und ihre Abbey Road im Theater Rigiblick, obwohl ich die wunderbare Vorstellung schon mal gesehen habe. Und auch nochmals die Erinnerung an Woodstock, diesmal im Saal und nicht mehr draussen im Park hoch oben über Zürich. Auf den jungen Gitarristen und Sänger Aaron Wegmann, irgendwo.

ich will begreifen

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Einsam in der Anonymität. Diesen Text habe ich zufällig in einer Schublade gefunden. Geschrieben hatte ich ihn vor mehr als 50 Jahren, ich war damals noch in der Schule. Später, 1971, wurde er in der «Zürichsee-Zeitung» abgedruckt. Ich war stolz, klar, es war mein erster grosser Text in einer Zeitung. Er erschien auf der «Seite der Jungen», damals gab es noch solche Seiten. Wenn ich den Text heute nochmals lese, denke ich: Ich begreife auch heute noch oft vieles nicht – gerade  in diesen schwierigen Zeiten .      in einem abbruchreifen, vor dem letzten weltkrieg erstellten haus, im vierten stockwerk links, wohnt ein alter mann. seine wohnung ist dunkel. die beiden einzigen fenster sind gegen den hinterhof gerichtet, die sonne scheint so das ganze Jahr nie in die wohnung. in der stadt ersticken die häuser das licht. der mann ist einsam. viele alte leute sind einsam. er kennt niemanden. einige leute wissen, dass er in dieser wohnung wohnt, aber niemand kennt ihn. seit vielen jahren arbei

Grittibänze im Regal

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Bereits Grittibänze in der Bäckerei. Zürich, 3. November 2020. Wenn es an einem Tag im November nochmals Frühling ist. Wenn die Frau in der Bäckerei mit dem wunderbaren Brot selber erstaunt ist, dass im Regal schon Grittibänze liegen. Und sie beim Abschied lachend sagt: «Schöne Ostern.» Und ich: «Schöner 1. August.» Und sie: «Dann haben wir geöffnet.» Und ich beim nächsten Besuch in der Bäckerei nicht erstaunt wäre, wenn auch Osterhasen und 1.-August-Weggen neben den Grittibänzen liegen würden. Und Christbaumkugeln. Und Fasnachtschüechli, auch wenn es diesmal keine Fasnacht geben wird. Dazu würde aus dem Lautsprecher im Laden «Last Christmas» ertönen. Der Song, der eigentlich als «Last Easter» hätte herauskommen sollen.  Nichts mehr ist, wie es einst war, in diesen komischen und verrückten Zeiten.