Kuno Lauener und der Fotograf
Es sind zwei traurige Nachrichten am gleichen Tag. Kuno Lauener machte in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» öffentlich, dass er seit vier Jahren an multiple Sklerose erkrankt ist; in München starb Hans Rauchensteiner, 72-jährig, Herzinfarkt. Lauener, der Sänger von Züri West, kennen wir alle; Rauchensteiner war in München eine bekannte Figur, ein Fotograf, ausgezeichnet mit vielen Preisen. Es gibt zwischen den beiden keinen direkten Zusammenhang, und doch gibt es etwas, was sie verbindet: Es geht um Fussball, um Torhüter, um Einsamkeit, um Poesie, um Bilder und Lieder, die Geschichten erzählen. Das Bild, ein Bild, und das Lied, ein Lied, kamen mir in den Sinn, als die beiden Nachrichten fast gleichzeitig verbreitet wurden.
Von Rauchensteiner ist es ein Bild, das eines der schönsten ist, das je von einem Fussballtorhüter gemacht wurde. Kein spektakuläres, der Torhüter fliegt nicht quer durch die Luft, er hechtet nicht nach einem Ball, sondern es ist mehr ein Gemälde in schwarz-weiss, der Torhüter steht einfach in seinem Tor, einsam, leicht gebeugt, angespannt und ganz konzentriert mit stechendem Blick, im Auge nur den Ball, der weit weg sein muss. Und hinter ihm, ganz nahe hinter dem Netz, sind tausende Zuschauer im Stadion, man sieht nur ihre Köpfe und auch ihre Blicke, alle ebenfalls ganz konzentriert und gebannt. Ein Tor, ein Torhüter, Zuschauer, die Augen, ganz schlicht.
Ein Bild, das Hans Rauchensteiner
gar nicht hätte machen dürfen
gar nicht hätte machen dürfen
Der Torhüter ist Walter Junghans von Bayern München, die Aufnahme von 1981 an der Anfield Road in Liverpool. Rauchensteiner hätte das Bild eigentlich nicht machen dürfen, er sass damals hinter dem anderen Tor, viel zu weit weg für solche Bilder, weil es damals diese extrem langen Objektive noch gar nicht gab. Aber er war an diesem Abend in Liverpool während des Spiels unerlaubterweise zur Mittellinie des Platzes gelaufen, hatte mit seiner Kamera kurz abgedrückt, bevor ihn ein Ordner zurechtwies und wieder zurückschickte.
Von Lauener ist es das Lied «Goalie». Er singt von einem alten Torhüter, der einen Ball nicht richtig eingeschätzt und daneben gegriffen hat, er macht ihm aber Hoffnung, beim nächsten Mal oder auch erst im nächsten Leben halte er den Ball bestimmt wieder und habe dann mehr Glück und sei «besser zwäg», und so heisst es im Song: «E härzlechen Applous däm alte Goalie», der frisch geduscht auf dem Parkplatz steht und auf dem Weg nach Hause ist, abgeholt von seiner Regi, «chumm Goalie».
Es ist ein Lied, das der Berner Sänger für den wunderbaren melancholischen Film «Dr Goalie bin ig» nach dem Buch von Pedro Lenz getextet hat, im Buch geht es um den Goalie, der keiner ist, den sie aber so nennen und der nach einer kleinen Drogengeschichte in sein Dorf zurückkehrt.
Mit der Nachricht von Laueners unheilbaren Erkrankung kam auch dieses Bild in den Kopf, es war ein Samstagabend im Herbst 2018, ein Konzert in einem Gewächshaus einer Gärtnerei in Stäfa, hoch oben über dem Zürichsee, inmitten von Palmen und Pflanzen. Lauener sang von enttäuschter Liebe, Abschied und ausweglosen Beziehungen, Bänz Friedli schrieb einmal, er sei der Literat unter all den Kunsthandwerkern des Mundartpop. Ein Lied, das er von einem früheren Album in Stäfa auch sang, die Hand wie immer an seinem Mikrofonständer, immer noch dem gleichen wie vor 30 Jahren, ist allerdings hoffnungsvoll: «Irgendeinisch fingt ds Glück eim», der Berner machte dabei eine Anspielung auf seinen Lieblingsclub, die Young Boys. Lauener wusste in diesem Moment von der MS-Diagnose, es war der 18. September 2018, und es war der letzte Auftritt der «Love-Tournee», seither spielten Lauener und Züri-West nie mehr.
«Irgendeinisch fingt ds Glück eim»: Kuno Lauener bei seinem vorläufig letzten Konzert 2018 in Stäfa. (Video fw)
Werden Lauener und seine Band je wieder einmal auftreten? Kuno, der Fussball so liebt, in Köniz einst bei den Junioren spielte, aber zu wenig talentiert war, singt im Lied «Quitte» davon, dass sie ihm, wenn er nochmals von vorne beginnen könnte, den rechten Fuss von Ibrahimovic und den Charakter einer Quitte geben sollen.
Rauchensteiner, der Münchner Bildpoet, war am vergangenen Samstag wie immer in der Allianz Arena, er fotografierte Bayern gegen Dortmund, das Spiel war zu Ende, und er sass nachher arbeitend auf der Tribüne und sackte plötzlich zusammen – mit einem tödlichen Herzinfarkt. Zehn Bilder hatte er eben noch der Redaktion der «Süddeutschen Zeitung» mit seinem Laptop übermittelt.
Es sind seine letzten Bilder. Vielleicht auch eines von einem Torhüter, bei einer Parade oder wie er einsam auf dem Rasen im leeren Stadion steht. Seine Bilder erzählten immer auch Geschichten, die Geschichten hinter dem Menschen – wie Lauener in seinen Songs. Ein dutzend Lieder, sagt er, warten darauf, bearbeitet und aufgenommen zu werden.
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