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Es werden Posts vom November, 2022 angezeigt.

Truurig glücklich

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 10)   Andelfingen und Katar. Es sind zwei Bilder. Sie erzählen vom Fussball der Kleinen, vom echten, dem unbeschwerten, so glauben wir wenigstens, wir, die ihnen zuschauen, und es tut gut, ihnen zuzuschauen und nicht an anderes zu denken, Fussball ist bei ihnen nur Spiel, kindliches Spiel, sie und der Ball.   Diesen Blog-Beitrag auch hören! Diego strahlt auf dem Bild. Er ist 8, er spielt beim FC Fällanden, er ist manchmal Torhüter und manchmal Stürmer, und wenn er Torhüter ist, dann ist er Brecher, weil er den so lässig findet und in einem Leibchen von ihm im Letzigrund steht, manchmal gar mit seinem Vater in der Südkurve, und dann singt er alle Lieder laut mit; und manchmal eben ist er auch Stürmer und dann Lewandowski, den findet er einfach cool. Diego strahlt. Er hat einen Pokal in den Händen, dieser sieht aus wie der WM-Pokal, «Coppa Russo» ist eingraviert, und er hat eine Medaille um den Hals, er ist glücklich. Aber Diego sagte auch,

Mit Alex Frei auf dem Rücksitz

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 9)   Früher war es anders. Und auch wenn man (zu) schnell sagt, anders sei auch besser gewesen, so trifft das in diesem Fall zu. Wenigstens für uns Journalisten. Früher ist gar nicht so weit weg, 2006 war es bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, die «Sommermärchen» genannt wird, obschon nicht alles nur märchenhaft war.  Diesen Blog-Beitrag auch hören! Die Schweizer Fussballer logierten während des Turniers in Bad Bertrich, einem kleinen Dorf im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz in einem Seitental der Mosel, idyllisch gelegen, eine einzige Strasse führt durch den beschaulichen Ort, Kühe weideten in der Nähe, Kirchenglocken läuteten immer wieder. Fürstenhof hiess das Hotel der Schweizer, der Kurpark war nur für sie reserviert, im Üssbachtalstadion wurde trainiert, wobei «Stadion» ziemlich übertrieben ist, es war eine Wiese mit einer kleinen Tribüne, aber alles für die Schweizer hergerichtet, der Rasen millimetergenau geschnitten. Auc

Embolo am Stammtisch

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 8)   20 Minuten sind in Katar erst gespielt. Den Embolo sieht man ja gar nicht. Spielt er überhaupt? Sagt einer. Später: Bring den Mann aus Sursee (Seferovic). Oder den Okafor. Einfach einen. Für Embolo. Hört man. Nach der Halbzeit: Er ist immer noch da (Embolo). Und dann, nur wenig später: Rodriguez zu Xhaka, der zu Freuler, der zu Shaqiri, jetzzzzzztt! schreit einer und schüttelt beinahe sein Bier aus, Pass zur Mitte - und: Gooooool! Emboloooooo! Er steht einfach immer richtig. Sagte einer. Der Gleiche, der ihn längst nicht mehr sehen wollte. Das Spiel Schweiz gegen Kamerun am Stammtisch. Es ist zwar keiner, wir sind zufällig zusammen hier, im WM-Keller des Ristorante Totò im Zürcher Seefeld. Am Dienstag, als die Saudis den Messi traurig machten, waren wir noch zu zweit, jetzt sind fast alle Plätze besetzt, Ball und Pizza zum Lunch, auf Stühlen und im Sofa, vier grosse Bildschirme, nur Männer. Die WM kurz vor dem 1. Advent. Und eben: Em

Es tat gut

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 7)   Es gäbe Gründe, das auch so zu sehen. Diese traurigen Augen von Lionel Messi. Es ist seine fünfte und wohl letzte Weltmeisterschaft, und wir Messianer wünschen uns doch, dass er endlich auch mit Argentinien ganz glücklich wird und nicht immer hören muss: Diego war es, du nicht – Weltmeister. Und jetzt trottete er einsam vom Rasen des Lusail-Stadion von Katar, leer sein Blick, gedemütigt. Von Saudiarabien. Ausgerechnet Saudiarabien. Diesem Land, das punkto Menschenrechte und Freiheit ebenso wie Katar in einem schlimmen Ruf steht, dort alles vielleicht noch schlimmer ist. Solche Gedanken könnten manches trüben. Die Freude der Saudis Doch sie sollen nicht. Es soll um Fussball gehen, nur um dieses Spiel mit diesem Ausgang, einer der grössten Sensationen überhaupt in der Geschichte des Balles, diese glücklichen und auch etwas ungläubigen Gesichtern von Spielern, deren Namen wir noch nicht gehört haben und wir nur mit Mühe aussprechen und u

Der Selbstbesoffene

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 6)   Sie waren an diesem Morgen so viele im Bistro im Zürcher Seefeld, dass sie gleich zwei Tische beanspruchten, sie waren nacheinander gekommen, und sie hatten gleich nur ein Thema, kaum stand der Espresso vor ihnen. Eine Schande sei er, sagt einer, und die anderen wissen gleich, von wem er redet, eine Schande für die Schweiz, ergänzt ein anderer. Der ist doch kein Schweizer mehr, sondern ein Katarer, sagt einer, und wieder fällt ihm einer ins Wort: Nicht nur Katarer, er hat sich auch afrikanisch, arabisch, schwul, behindert und als Arbeitsmigrant gefühlt, später gar als Frau, und habt ihr sein Gesicht gesehen, wie er während seinem Monolog gequält seinen Mund verzog, und diese Kunstpausen dazwischen, die er sicher in seiner Luxussuite die ganze Nacht vor dem goldigen Spiegel geübt hat. Der «Spiegel» habe es richtig geschrieben: «Der Selbstbesoffene.» Gianni Infantino und seine bizarre Rede Einer, der bisher geschwiegen hatte, er hört, d

Mani Matter und der FCZ

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 5)   Axel Hacke, der Buchautor und Kolumnist im Magazin der «Süddeutschen Zeitung», ist ein Fussballfreund, zuallererst von Eintracht Braunschweig, aber er wird sich die Fussball-WM nicht anschauen. Kein Spiel werde es sein, und es sei keine moralische Entscheidung, schreibt er in seiner neuesten Kolumne, es sei einfach Unlust und Gleichgültigkeit, wegen dieser Art von Fussball heute, wegen der korrupten Fifa . A ber ja, das Eröffnungsspiel Katar gegen Equador hätte er auch nicht geschaut, wenn das Turnier in Brasilien oder Italien stattfinden würde, da hätte ihn FC Bad Schwürbelbach II gegen die eigenen Reserven mehr interessiert. Er suchte nach einer Alternative, sah, dass im Münchner Residenztheater Graf Öderland von Max Frisch aufgeführt wird . I ch schaute das erste Spiel der WM auch nicht, ich schaute auch nicht, ob Küsnacht III vielleicht in der 5. Liga noch ein letztes Spiel in diesem Herbst auf dem Fallacher auszutragen hat. Aber

Sommerball statt Final

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 4)   Zur WM in Katar hat der deutsche Journalist Gerhard Waldherr ein sehr schönes Buch herausgegeben. «Die WM und ich» heisst es, und viele Reporter erzählen darin ihre persönlichen Geschichten zu den Weltmeisterschaften von 1954 bis 2018, von Bern bis Moskau. Und es gibt im Buch diese. Gerd Raithel, 91 ist er heute, er lebt mit seiner Frau Marga in München, sie sind seit 64 Jahren verheiratet, und er war als junger Journalist zur WM in die Schweiz gereist, für einige Zeitungen in Oberfranken. Er erzählt im Buch, wie er diese Weltmeisterschaft erlebt hat. Und warum er beim legendären Final im Wankdorfstadion in Bern - « Aus dem Hintergrund müsste Rahn schiessen. Rahn schiesst. Tor, Tor, Tor», schrie Herbert Zimmermann im Radio beim 3:2 der Deutschen gegen Ungarn – nicht dabei war. Es tönt wunderbar. «Beim Endspiel war ich nicht mehr dabei. Ich hätte bleiben können, wenn ich gewollt hätte. Aber nun war ich schon zwei Wochen in der Schwe

Alle vier Jahre

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Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 3)   Alle vier Jahre kommt das Fieber, mal stärker, mal schwächer, diesmal verbunden mit einem schlechten Gewissen, das wir aber schon immer wieder hätten haben müssen, 1978 mit den Greueltaten der argentinischen Militärjunta, zuletzt 2018 in Russland, als wir Putin noch hofierten. «Wir haben uns alle in Russland verliebt», sagte Fifa-Präsident Gianni Infantino nach dem Turnier. Alle vier Jahre ist eine Fussball-Weltmeisterschaft, blenden wir aus, was sonst Schlimmes auf der Welt passiert, wollen wir uns ablenken und verdrängen, schalten den Verstand aus und reden mit Leuten, mit denen wir sonst kaum reden, weil wir eine Leidenschaft teilen. Der Ball führt zusammen, jung, alt, über Grenzen hinweg, weltweit, wir tragen Spiele im Kalender ein und verschieben Dates und wollen während den 90 Minuten nicht wissen, welch dreckiges Geschäft der grosse Fussball längst ist.  «Das ist dumm, das weiss ich, aber es ist nicht meine Schuld», sagte einma