Bruce und Pippo



Zwei Konzerte innert vier Tagen, eines auf dem Circo Massimo in Rom, das andere im Volkshaus in Zürich, auch ein Ort mit viel Geschichte. Bruce Springsteen, 73, der Rocker aus New Jersey, tourt mit seiner E Street Band bis Ende Juli durch Europa, 31 Konzerte in 88 Tagen, bald auch in Zürich; Pippo Pollina, der Cantautore aus Palermo, der seit 30 Jahren im Zürcher Seefeld wohnt, feierte seinen 60. Geburtstag mit drei Auftritten.

So unterschiedlich die beiden sind, der Sizilianer und der Amerikaner mit italienisch-irischer Abstammung, so nahe sind sie bei ihren Liedern, mit Geschichten aus dem Leben, über Liebe, Beziehungen, Träume und Sehnsüchten, aber auch über die nachdenklichen und traurig-dunklen Seiten, Menschen, denen es weniger gut geht.

Der Boss im antiken Stadion

Stehen im Schlamm

Umjubelt in «seinem» Rom

Einmalige Kulisse


Es war sumpfig mit vielen Wasserlachen am Boden, aber doch nicht wie damals in Woodstock, es hatte zwei Stunden vor dem Konzert aufgehört zu regnen, und die Abendsonne schien an einem jetzt blauen Himmel über Rom. 60 000 sind gekommen, um ihm zuzujubeln, den sie in Italien so lieben, und der schon gesagt hat, wenn er wählen könnte, wo er leben würde und wenn er wählen  könnte, wo er sterben möchte, dann sei es Rom. Ein Heimspiel für Bruce Springsteen, den Boss. Erstmals seit sieben Jahren wieder in der ewigen Stadt.

Und gibt es ein schöneres Stadion als den Circo Massimo, wo im antiken Rom Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe durchgeführt wurden, wo es keine Tribünen gibt, viele Tausende weit, sehr weit weg von der Bühne stehen, weil die Arena ein lang gestrecktes Oval ist? Sie sahen den Boss dank mehr grossen Screens trotzdem von überall nah, und wie schon an allen Orten der bisherigen Tournee durch Europa, in Barcelona, Dublin, Paris und Ferrara, war zu spüren, wieviel Spass es Springsteen und seiner E Street Band macht, wieder Konzerte spielen zu können. «Roma ti amo», natürlich schrie er das ins Publikum, die lokale Zeitung «Il Messaggero» titelte am anderen Tag: «Die Show vom Boss, der nie aufgibt.»


Bruce Springsteen mit «Nightshift» in Rom. (Youtube, Video Fredy Wettstein)


Zusammen mit Familie und Freunden


Drei Tage vorher das Volkshaus in Zürich, das erste von drei ausverkauften Konzerten, Pippo Pollina feiert seinen 60. Geburtstag zusammen mit dem Palermo Acoustic Quintett. 17 Frauen und Männer spielen auf der Bühne, gleich viele wie bei Bruce, aber viel enger ist es hier mit den vielen Instrumenten. 

Und Pippo hat Freunde eingeladen, die zwischendurch mit ihm auftreten, seine Kinder, die auch längst ihre Karriere gemacht haben, Julian als Faber, er singt mit seiner eindrücklichen Stimme zusammen mit seinem Vater «Campari Soda», hinreissend schön ist es, und auch Madlaina, seine Tochter, die zusammen mit ihrer Freundin Nora Steiner eben ein weiteres Album veröffentlicht hat. Es ist berührend, die Musiker-Familie gemeinsam auf der Bühne.



Julian Pollina, Faber, singt mit seinem Vater «Campari Soda.» (Youtube, Fredy Wettstein)

Und dann steht an diesem Donnerstag auch der Bündner Liedermacher Linard Bardill neben Pippo, und ohne Bardill wäre vielleicht Pollinas Lebensweg ganz anders verlaufen. Im März 1986 war es, auf der Seebrücke in Luzern, Bardill war stehen geblieben und hatte Pippo zugehört, der auf dem Boden sass, Gitarre spielte und Lieder sang, als Strassenmusikant, der quer durch Europa reiste, mit Schlafsack und wenig Geld, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, das Grauen der Mafia in Palermo. «Er war kantig wie die Berge Graubündens, ich so mager und augenscheinlich schutzlos», beschrieb Pollina einmal diese Begegnung. Bardill hatte zu ihm gesagt: «Compare, Kumpel, wenn du hier überleben willst, musst du dich organisieren. Schreiben und Singen ist das eine, aber wenn niemand davon erfährt, bringt es nicht viel.»

Bardill ermöglichte, dass Pollina sein erstes (von inzwischen 20) Album aufnehmen konnte und nahm ihn auf seine Tournee mit. Zusammen singen die beiden Freunde im Volkshaus «Uf und furt» und umarmen sich herzlich und scherzen.

Zufälle bestimmen oft ein Leben, wie auch diese Begegnung. Pollina gab ein Konzert in einem kleinen Club im bayrischen Bad Aibling, als eine Saite seiner Gitarre riss. Ob nicht jemand im Publikum sitze, der ihm die Saite flicken könne, fragte er, mehr als Spass, weil er dies kaum für möglich hielt, doch einer streckte die Hand auf, kam auf die Bühne und löste das Problem. Pippo fragte, ob er denn auch singen könne, das Publikum lachte, weil es natürlich wusste, wer da nach vorne gegangen war. Pippo kannte ihn nicht, und zusammen spielten sie dann ein Lied von Fabrizio de André.

Es war Werner Schmidbauer, ein bekannter Sänger und auch TV-Moderator in Bayern, Martin Kälberer, auch ein Musiker, sie treten zusammen als Schmidbauer & Kälberer auf, war an diesem Abend ebenfalls im Club. Die drei wurden Freunde, gingen später als Trio mit «Süden» auf eine Tournee, die sie bis in die Arena von Verona führte. Im Volkshaus spielten die drei «Passa il Tempo», Schmidbauer singt darin:

 «Die Zeit vergeht und mit ihr die Ideen,
Und aa des Glück gibt's ned für imma,
Gezeiten draahn, nix bleibt besteh'n,
und jedes G'setze guit irgendwann nimma.


Linard Bardill mit Pippo Pollina

Tochter Madlaina (mitte) mit ihrem Vater Pippo; links Nora Steiner

Werner Schmidbauer mit Pippo Pollina

Sohn Julian Pollina, Faber, mit seinem Vater (Fotos Bettina Bernet und Fredy Wettstein)

Es waren zwei wunderbare Abende, im Circo Massimo in Rom und im Volkshaus in Zürich. Am Ende, als letzte Zugabe, nach drei Stunden Musik, standen beide alleine auf der Bühne. Bruce Springsteen nur mit seiner Mundharmonika, er sang wie immer am Ende «I'll See You in My Dreams», das Lied über einen verlorenen Freund, den er aber wieder sehen wird in seinen Träumen, und sie werden wieder leben und lachen, denn der Tod ist nicht das Ende. Und Pippo sitzt alleine an seinem Klavier, das Licht in der Halle  ist abgedunkelt, er singt «La vita è bella cosi com'è».

Vor langer Zeit, in jungen Jahren, es war 1991, hat Pollina das Lied «Doppo il Concerto» geschrieben, über seine Gefühle nach einem Auftritt, er singt darin:

«Nach dem Konzert, wenn der letzte Ton verklungen
und schliesslich auch die hinterste Reihe leer ist,
schnürt ein eigenartiger Schmerz wie Traurigkeit
mir die Kehle zu und lässt mich nicht mehr los.
(...)
Und im fahlen Licht halte ich inne:
Was mir wohl bleiben wird von diesem Abend?
Der trügerische Schein der Erinnerung vielleicht
und die grünen Augen jener Frau in der zweiten Reihe.»

Springsteen und Pollina winkten ein letztes Mal, hoben die Arme, gingen. Wir im Publikum, in Zürich und in Rom, blieben einige Zeit stehen, wollten eigentlich nicht, dass es zu Ende ist. Wir waren verzaubert von der Musik, der Leidenschaft der Musiker, der Stimmung, der Kraft der Lieder, der Energie, die sie geben, Lieder, die zuversichtlich, aber auch nachdenklich stimmen, von Liebe, von Aufbruch, von Traurigkeit, von Hoffnung erzählen.

Konzerte, die nie eine letzte Zugabe haben dürften. Und die Lichter gelöscht werden sollten. Nicht im Volkshaus, nicht in dieser Nacht in Rom mit dem zunehmenden Mond am Himmel. 





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