Besuch bei Mamma
«Mami», sagte meine Schwester am Telefon, ich fuhr auf der Autobahn von Hinwil Richtung Forch, es war kurz vor Mittag an diesem Donnerstag, ich hörte von ihr: «Mami hat sich bei mir verabschiedet.» Mir stockte der Atem.
Ich war auf dem Heimweg vom Engadin, wollte so schnell wie möglich zurück an den Zürichsee, um nochmals meine Mamma zu sehen, sie hatte sich das gewünscht, es geht ihr schlecht, und ich wollte nochmals bei ihr sein, vielleicht ein letztes Mal. Viele Gedanken gingen auf der Fahrt durch verschneite Landschaften durch den Kopf, viele Erinnerungen an eine lange Zeit, an die Kindheit, an später, an Feste, an Besuche, an Ferien, jetzt, weil draussen Schnee lag, an Winterferien, damals in Wildhaus.
Unsere Mutter ist bald 93, sie ist seit dem März im Altersheim, ihr Mann, unser Papi, war mit ihr eingezogen, aber wenige Tage später gestorben, 94-jährig. Es war damals eine schwierige Zeit für meine Mamma, ich sagte ihr immer Mamma, mitten in der ersten Corona-Welle, wir konnten sie nicht besuchen, nicht umarmen, ihr nur von der gegenüberliegenden Wiese auf den Balkon zuwinken. Aber zumindest hatte sie im Altersheim die Nähe zu ihren Mitbewohnerinnen.
Sie las viel, machte gerne Kreuzworträtsel, strickte
einer meiner Schwestern gar einen Schal, wie früher.
einer meiner Schwestern gar einen Schal, wie früher.
Sie schaute oft die vielen Fotobücher an, die unser Vater gemacht hatte, und wir sagten uns: Erst jetzt wissen wir, weshalb unser Vater so oft vor seinem Computer gesessen und gearbeitet hatte. Die vielen Bilder in den Büchern erzählen ihr und uns unser ganzes Leben, unsere Eltern hätten diesen Herbst ihren 70. Hochzeitstag gefeiert.
Bis dieser Frühwinter kam. Die Kälte. Die zweite Corona-Welle. Die Angst. Wir sie nicht mehr in ihrem Zimmer besuchen durften. Bald nicht einmal mehr die Masken ablegen und selber einen Kaffee trinken konnten, wenn wir mit ihr an einem Tisch im Begegnungsraum sassen. Bis sie, weil andere im Heim von diesem heimtückischen Virus angesteckt wurden, in Isolation musste. Eingesperrt in ihr Zimmer, ausser dem liebevollen Pflegepersonal ohne Kontakt zu jemandem. Und wir sie wieder nur von der Wiese aus besuchen und ihr nur noch zuwinken konnten.
Es ging ihr immer schlechter. Wir telefonierten alle mit ihr; der Husten, den sie schon immer etwas plagte, wurde stärker, ihre Stimme schwächer, sie klagte, sie fühle sich einsam, es fehle ihr die Nähe. Und dieses Virus greift ihren Körper an, ihre Lunge ist entzündet, sie ist müde, selbst das Aufstehen aus dem Bett mühsam.
Und jetzt an diesem Mittag, ich sass im Auto, dieses Telefon: «Mami hat sich verabschiedet.» Ich dachte an das Schlimmste. Kann ich sie nicht mehr besuchen? «Doch, doch», sagte meine Schwester, «sie möchte dich sehen, aber sie mag nicht mehr.» Sie möchte sterben, sie hatte, sagte meine Schwester, an diesem Morgen noch ihre Nägel lackiert, sie möchte eine Schöne sein, wenn sie in den Himmel kommt, wo unser Papi, und Ursi, unsere andere Schwester, die vor zwei Jahren gestorben ist, auf sie warten.
Ich fuhr, zusammen mit Gabi, meiner anderen Schwester, sogleich ins Altersheim. Mit vielen Gedanken. Mit Traurigkeit. Mit Tränen. Mit einem Gefühl, das alles zusammenzieht im Körper: Sehen wir unsere Mutter ein letztes Mal?
Sie lag in ihrem Bett, wir mit Maske, Schutzanzug, Handschuhen. Sie lächelte uns an, sie sagte, wie sehr sie sich freue, uns zu sehen, wir sassen neben ihrem Bett, mit Abstand, aber wir berührten ihr Bein unter der Decke, ihre Hand, wir vergassen, dass wir eigentlich auch vorsichtig sein müssten, wir lüfteten zwar immer wieder das Zimmer, doch wichtig war uns nur eines: Bei unserer Mutter zu sein, sie zu spüren, ihr zuzuhören, mit ihr auch zu schweigen, einfach da zu sein, mit ihr zu reden.
Sie sagte anfänglich mehrmals, dass sie sterben möchte, sie fragte: Aber wie kann man sterben, was muss man tun, dass man einfach einschlafen kann? Es sei so schwierig, sie sei müde, sie möge nicht mehr. Sie habe doch ein schönes Leben gehabt, aber jetzt sei es kein schönes Leben mehr, einfach nur noch im Bett zu liegen, ohne Schmerzen zwar, aber nur noch darauf angewiesen sein, dass andere ihr helfen würden.
Sie bekam, während wir bei ihr waren, einige Telefonanrufe, sie sagte anfänglich allen, dass sie gehen möchte, dass es Zeit sei zu sterben, sie sagte aber auch immer wieder, wie schlimm das sei, während so langen Wochen immer alleine im Zimmer bleiben zu müssen, isoliert, ohne Kontakt, wie sehr ihr das zu schaffen mache.
Wir schauten wieder Fotobücher an, wir spürten, wie durch Fotos Bilder in ihrem Kopf entstehen, sie hat ihr Leben vor Augen. Manchmal ist sie verwirrt, sie denkt nach, kann manches nicht mehr einordnen. Was denkt sie jetzt wirklich? fragen wir uns manchmal. In ihrem Kopf müssen sich viele Gedanken drehen.
Aber wir spüren, wie gut es ihr tut, für einen Moment nicht alleine sein zu müssen, sie sprach zuletzt nicht mehr vom Sterben, und wir sagten uns nachher: Dieses Virus ist so schlimm, lässt viele Menschen sterben, aber genauso schlimm ist für die alten Menschen die Isolation, die Einsamkeit, das Allein-sein-müssen.
Wir waren glücklich mit unserer Mutter, glücklich, weil wir erleben durften, dass sie auch alleine und ohne unseren Papi das Leben noch etwas geniessen konnte.
Bis dieser Frühwinter kam. Die Kälte. Die zweite Corona-Welle. Die Angst. Wir sie nicht mehr in ihrem Zimmer besuchen durften. Bald nicht einmal mehr die Masken ablegen und selber einen Kaffee trinken konnten, wenn wir mit ihr an einem Tisch im Begegnungsraum sassen. Bis sie, weil andere im Heim von diesem heimtückischen Virus angesteckt wurden, in Isolation musste. Eingesperrt in ihr Zimmer, ausser dem liebevollen Pflegepersonal ohne Kontakt zu jemandem. Und wir sie wieder nur von der Wiese aus besuchen und ihr nur noch zuwinken konnten.
Und bis – bis wir die Nachricht bekamen, dass auch sie positiv getestet wurde. Weihnachten, Silvester, Neujahr ganz alleine, isoliert im Zimmer, sie liebte die weihnächtlichen Tage so sehr, das Beisammensein mit der grossen Familie.
Es ging ihr immer schlechter. Wir telefonierten alle mit ihr; der Husten, den sie schon immer etwas plagte, wurde stärker, ihre Stimme schwächer, sie klagte, sie fühle sich einsam, es fehle ihr die Nähe. Und dieses Virus greift ihren Körper an, ihre Lunge ist entzündet, sie ist müde, selbst das Aufstehen aus dem Bett mühsam.
Ich fuhr sogleich ins Altersheim. Mit vielen Gedanken.
Mit Traurigkeit. Mit Tränen.
Mit Traurigkeit. Mit Tränen.
Und jetzt an diesem Mittag, ich sass im Auto, dieses Telefon: «Mami hat sich verabschiedet.» Ich dachte an das Schlimmste. Kann ich sie nicht mehr besuchen? «Doch, doch», sagte meine Schwester, «sie möchte dich sehen, aber sie mag nicht mehr.» Sie möchte sterben, sie hatte, sagte meine Schwester, an diesem Morgen noch ihre Nägel lackiert, sie möchte eine Schöne sein, wenn sie in den Himmel kommt, wo unser Papi, und Ursi, unsere andere Schwester, die vor zwei Jahren gestorben ist, auf sie warten.
Ich fuhr, zusammen mit Gabi, meiner anderen Schwester, sogleich ins Altersheim. Mit vielen Gedanken. Mit Traurigkeit. Mit Tränen. Mit einem Gefühl, das alles zusammenzieht im Körper: Sehen wir unsere Mutter ein letztes Mal?
Sie lag in ihrem Bett, wir mit Maske, Schutzanzug, Handschuhen. Sie lächelte uns an, sie sagte, wie sehr sie sich freue, uns zu sehen, wir sassen neben ihrem Bett, mit Abstand, aber wir berührten ihr Bein unter der Decke, ihre Hand, wir vergassen, dass wir eigentlich auch vorsichtig sein müssten, wir lüfteten zwar immer wieder das Zimmer, doch wichtig war uns nur eines: Bei unserer Mutter zu sein, sie zu spüren, ihr zuzuhören, mit ihr auch zu schweigen, einfach da zu sein, mit ihr zu reden.
Sie sagte anfänglich mehrmals, dass sie sterben möchte, sie fragte: Aber wie kann man sterben, was muss man tun, dass man einfach einschlafen kann? Es sei so schwierig, sie sei müde, sie möge nicht mehr. Sie habe doch ein schönes Leben gehabt, aber jetzt sei es kein schönes Leben mehr, einfach nur noch im Bett zu liegen, ohne Schmerzen zwar, aber nur noch darauf angewiesen sein, dass andere ihr helfen würden.
Sie bekam, während wir bei ihr waren, einige Telefonanrufe, sie sagte anfänglich allen, dass sie gehen möchte, dass es Zeit sei zu sterben, sie sagte aber auch immer wieder, wie schlimm das sei, während so langen Wochen immer alleine im Zimmer bleiben zu müssen, isoliert, ohne Kontakt, wie sehr ihr das zu schaffen mache.
Wir schauten wieder Fotobücher an, wir spürten, wie durch Fotos Bilder in ihrem Kopf entstehen, sie hat ihr Leben vor Augen. Manchmal ist sie verwirrt, sie denkt nach, kann manches nicht mehr einordnen. Was denkt sie jetzt wirklich? fragen wir uns manchmal. In ihrem Kopf müssen sich viele Gedanken drehen.
Aber wir spüren, wie gut es ihr tut, für einen Moment nicht alleine sein zu müssen, sie sprach zuletzt nicht mehr vom Sterben, und wir sagten uns nachher: Dieses Virus ist so schlimm, lässt viele Menschen sterben, aber genauso schlimm ist für die alten Menschen die Isolation, die Einsamkeit, das Allein-sein-müssen.
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