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Es werden Posts vom April, 2020 angezeigt.

Gespenstische Spiele

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Fussballspiele ohne Zuschauer: Zürich, Letzigrund. Wenn mein lieber Kollege Thomas Schifferle vom Tagi schreibt, dann weiss er meistens Antworten, er ist direkt, manchmal polemisch, meistens kritisch, nie ohne Meinung. Diesmal fiel es ihm schwer. Er hatte in seinem Text 21-mal ein Fragezeichen, schon der Titel war unschlüssig: “Geisterspiele, ja, aber…” Soll in der Schweiz wieder Fussball gespielt werden, in leeren Stadien, mit besonderen Massnahmen, nur für die Zuschauer vor dem Fernsehapparat, nur damit wir wissen, ob es einen Schweizer Meister 2020 gibt, und einen Zweiten und einen Absteiger und auch einen Aufsteiger, eine Rangliste? Kein Lärm im Stadion, keine Emotionen, Spieler, die sich vielleicht abklatschen - dürfen sie das überhaupt, oder sollten sie gar Masken tragen? -, aber kein Jubel, keine Schreie, selbst der TV-Reporter schreit leiser, weil er nichts überschreien muss, keine Bilder von feiernden Fans auf der Tribüne und keine von solchen, die entsetzt sind, überhau

28.4.2018: Das Glück in Bern

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Ä gäub-schwarzi Nacht: Bern, 28. April 2018. Der Fussball, rückblickend, besteht immer wieder aus einzelnen Momenten. Die immer im Kopf bleiben. Von denen man immer wieder erzählt. Damals. Der 28. April 2018 war so ein Moment. In Bern. Der Samstagabend, als YB Meister wurde. Die Momente im Stadion. Musik von Kuno, das Glück, das «irgendeinisch eim fingt», immer wieder der gleiche Song, der zu den Young Boys passt, die so lange warten mussten, auf diesen Tag, endlich Meister nach 32 Jahren, viele Tausend tanzen auf dem Rasen. Büne natürlich auch, mit seinem «Scharlachrot», dabei war alles nur gäubschwarz, eine ganze Stadt. Die Toten Hosen schepperten über den Lautsprecher, «Tage wie diese», es war schon weit nach Mitternacht; Campino singt von der Unendlichkeit und wie wir uns treiben lassen und schwimmen sollen mit dem Strom, ohne ein Ende in Sicht, an Tagen wie diesen. Lo & Leduc traten zu später Stunde oben im Logebereich noch live auf, «0-7-9 het sie gseit», alle

Das Bild im Auge: Thema Corona-Welten

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Manchmal braucht es keinen ersten Satz. Und keinen letzten. Nur ein Bild. Ein Auge. Ein Auge für das Bild. Einen Augenblick, Augenblicke in einer  Corona-Welt, Corona-Welten. Corona-Idylle: Küsnacht. Corona-Platz: Zürich. Corona-Distanz: Küsnacht. Corona-Natur: Küsnacht. Corona-Schlaf: Küsnacht. Corona-Strasse: Zürich. Corona-Farben: Mettmenstetten. Corona-Liebe: NZZ am Sonntag. Corona-Schifffahrt: Zürich-Bürkliplatz. Corona-Ball: Küsnacht. Corona-Haare:Zürich-Tiefenbrunnen Corona-Tram: Zürich-Tiefenbrunnen. Corona-Maske: Zürich-Bellevue. Corona-Willkommen-zu-Hause: Zürich-Bürkliplatz. Corona-Floss (1): Küsnacht-Kusen. Corona-Blau: Küsnacht. Corona-Stille (1): Zürich-Seefeld. Corona-Leere: Küsnacht. Corona-Papier: Facebook. Corona-Abstand: Küsnacht. Corona-Floos (2): Küsnacht-Kusen. Corona-Stille (2): Zürich-Seefeld Corona-Au

Der stille Abschied

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Zürichsee, 25. April 2020. Der stille Abschied Es war wolkig. Aber auch immer wieder kam die Sonne. Als würde sich der Himmel öffnen. Es war warm. Und es war vor allem still. Draussen auf dem See, es hatte kaum Wellen. Wir, meine zwei Schwestern und ich, fuhren mit einem kleinen Boot hinaus, es war ein Samstag im April. Unser Papi hatte das früher auch viel getan, er liebte das Wasser, den See, seinen Zürichsee, den Blick auf Küsnacht, sein Dorf. Die Stille hier draussen.  Wir dachten ganz fest an ihn. Haben ein kleines Schiffchen gebastelt, aus weissem Papier mit dem Namen von Papi drauf geschrieben. Wir liessen es aufs Wasser gleiten, streuten weisse Pfingstrosen aus seinem Garten dazu.  Das Wasser trug das kleine Schiffchen stundenlang, es schaukelte manchmal, meistens aber schien es einfach ganz leicht zu schweben, die Blumen entfernten sich, und plötzlich waren sie wieder näher beisammen. Die beiden Ufer weit weg, wir waren mitten auf dem See. Es glitzerte, zwischendurch

Frühstück mit Pippo und Linard

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Keine Konzerte, kein Publikum im Saal, auch hier wäre Pippo Pollina aufgetreten: Winterthur, Casino-Theater. Wir sprachen über das, worüber man in diesen Zeiten fast immer als erstes spricht, auch wenn man eigentlich genug hat vom stets gleichen Thema. Es begann schon bei der Begrüssung, man zögerte, lächelte etwas verlegen, eigentlich hätte man sich jetzt umarmen wollen, kurz nur, aber den einen Arm über den anderen Rücken und der Arm des anderen über den eigenen Rücken, einfach liebevoll und herzlich – jetzt blieb man stehen. Nickte, sagte aus Distanz. «Buongiorno amico mio.» Der Arm hätte gewollt, er durfte nicht. Ich traf Pippo Pollina, den Liedermacher aus Palermo, der schon lange in Zürich lebt, in seiner Wohnung im Seefeld, er machte Cappuccino, ich holte Gipfeli beim Wüst nebenan. Und eben, wir begannen zu reden, mit was man seit Wochen zu reden beginnt. Und nachdem wir über verschiedenes sprachen, über Theorien und Spekulationen, ob es vielleicht doch nicht der Huanan-Mark

Mein Vater und Churchill

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Sir Winston Churchill im offenen Dienstwagen des Bundesrates und mein Vater Karl auf dem Motorrad (vorne links): Bern, im August 1946. Das Bild lag abgelegt in einem der vielen Ordner meines verstorbenen Vaters, schwarz-weiss, etwas vergilbt ist es. Er hatte hinten mit Bleistift draufgeschrieben: «1946. Auf dem Weg nach Kehrsatz.» Es muss für ihn sein Dokument gewesen sein, er hat manchmal davon erzählt, und er war stolz, dass er dabei sein durfte. Es war im Sommer 1946, mein Vater eben 20 geworden, musste in Thun in die Rekrutenschule einrücken,  Mot. L. Trp II/46,   auch das hatte er auf der Rückseite vermerkt. Und schon nach wenigen Wochen wurde er zusammen mit 20 anderen Rekruten ausgewählt, eine Spezialaufgabe zu erfüllen, sie mussten dafür mit ihren Armee-Motorrädern besondere Trainings absolvieren, akrobatisch liegend und stehend. Und dann kam der sonnige Tag in diesem Spätsommer 1946, der britische Premier Sir Winston Churchill war schon seit einigen Wochen in der Schwe

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Damals am 3. März 2004 und jetzt wieder am TV: Zürich, Cup-Halbfinal im alten Hardturmstadion. Ich sitze da, es ist ein schöner Abend, zuvor blieb ich lange auf dem Balkon, schaute der Sonne zu, die langsam hinter dem Uetliberg verschwand, ein Sommerabend im April, und dann setzte ich mich doch noch vor den Fernseher. Ganz entspannt. Ich weiss ja: 6:5 endet es. Der FC Zürich führt in diesem Cuphalbfinal 5:2; als ich mich hinsetzte, zeigt es am Bildschirm die 70. Minute an. GC stürmt, der FCZ, nur noch zu zehnt, verteidigt. Aber klar: alles klar. Es ist inzwischen die 83. Minute. Immer noch 5:2. Ruefer, der Fernsehsprecher, schwafelt etwas, es kämen schwierige Zeiten auf GC zu. Das Video zum unvergesslichen Spiel (Quelle: Youtube) Die Kamera zeigt die alte Hardturmtribüne, der wunderbare alte Hardturm, Tränen kommen fast, wenn man dies sieht, dieses schöne Stadion, das nie hätte abgerissen werden dürfen. Irgendwo auf dem Bild, das eingeblendet wird, auf der engen Pressetri

Gedanken an einem fast sommerlichen Tag

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Ein Kaffee draussen an der Tramhaltestelle: Zürich-Seefeld, im April 2020. Man gewöhne sich an alles, und es sei ja vieles ganz gut, sagt eine Frau beim Kaffeetrinken draussen auf dem Trottoir der Bäckerei Wüst im Zürcher Seefeld. Wir gewöhnen uns daran, wie es ist, weil wir uns an alles gewöhnen, wenn es längere Zeit unser Alltag ist. Und gewöhnen uns vielleicht auch daran, weil wir wirklich finden, es sei ja gar nicht so schlecht, wenn wir uns an manches gewöhnen und es dann nicht vergessen sollten, wenn das andere Leben einmal wieder kommt. Es wäre besser, neu anzufangen als zu hoffen, es würde wieder so sein wie einst, und wir sollten aufhören, das zerbrochene Alte wieder herbei zu sehnen. So denken viele. Wobei wir sowieso verdrängt haben, dass in unserer Welt doch schon vorher ganz vieles nicht mehr stimmte. Die Katastrophe ist schon längst da, das Coronavirus macht sie einfach noch schlimmer. Und wenn ich das so schreibe, muss ich sofort einschränken: Für ganz viele b

Verpasste Lieder und anderes

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Mariza, Faber, Pippo, Tote Hosen, Hopper, Schützenwiese, Schneider, Bichsel - vieles und viele. Alles und alle im Kalender. So war es auf der Piazza Grande: Locarno, Juli 2019. Ich schaue in meinem Kalender nach, seit diesem Dienstag Mitte März, als von einem Tag auf den anderen nichts mehr war, wie es zuvor war. Es hat einige Eintragungen, sie stehen da, aber es ist keine Erinnerung damit verbunden. Der Abend mit Manuel Stahlberger , dem St. Galler Liedermacher und Kabarettisten mit seinen hintergründigen Texten aus dem Alltag, mal satirisch, mal verspielt, mal lustig, immer intelligent. Ein Abend mit Mariza , der portugiesischen Fado-Sängerin, schwermütig und melancholisch, sie interpretiere den süssen Weltschmerz so wunderbar, schrieb der «Spiegel» einmal. Schon ihr Geburtsname ist poetisch: Marisa dos Reis Nunes. Ein Abend mit Faber mit seinen provozierenden Songs und melodramatischen Texten, er erfindet wunderbare Geschichten und sucht den Widerspruch, seine Stimme e

Trauern auf Wiese und Balkon

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Ein Gastbeitrag von Melanie Marday-Wettstein* Begegnung auf Distanz vor dem Altersheim: Küsnacht, im April 2020. Seit vier Wochen ist unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Am Anfang empfand ich den Notstand vor allem als ungewöhnlich. Distanz halten, zu Hause bleiben, Entschleunigung. Dann allmählich als anstrengend. Mit den Kindern zu Hause lernen, am gleichen Ort der Arbeit nachgehen, den Haushalt erledigen, die sozialen Kontakte aus der Entfernung pflegen, die Partnerschaft wird zum Koordinationsgremium – ein Kraft- und Balanceakt. Nun aber habe ich auch erfahren müssen, wie viel Schmerz die gesamten Massnahmen verursachen können, die getroffen wurden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Dann nämlich, wenn persönliches Abschiednehmen verunmöglicht wird. Es ist Anfang Jahr, Covid-19 nördlich der Alpen noch praktisch unbekannt. Meine Grosseltern – mein Grossvater bald 94, meine Grossmutter bald 92 Jahre alt – entscheiden sich für die Altersresidenz. Dara

Der Sänger, der Zöpfe backt

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Das Geisterkonzert in Rubigen und das Geisterspiel in Madrid. Die Band Halunke, Konzert ohne Publikum: Rubigen, März 2020. Es sind zwei Kultstätten, so ganz unterschiedliche, aber in beiden gab es schon viele magische Momente und Nächte und wird es auch wieder solche geben. Die eine in einer Weltstadt, die andere in einem kleinen Dorf. Die eine ist das Estadio Santiago Bernabeu, dieser riesige Fussballtempel mit den steilen Betonrampen mitten von Hochhäusern in der Innenstadt von Madrid; die andere die Mühle Hunziken in Rubigen zwischen Bern und Thun, nur Mühli nennen sie die Berner liebevoll, ein einzigartiges Konzertlokal, überall stehen auch skurrile Kunstgegenstände und Figuren herum, ein Superman, ein Spiderman, Frankenstein, ganz viele. Fussball und Lieder. Der Fussball lebt auch von und mit Liedern, es gibt vieles, dass die beiden Künste verbindet. Ich war oft im Bernabeu, sah Spiele, die ich nie vergessen werde. Und ich weiss, wie ich einmal vor vielen Jahren, Mitternach