Mit Alex Frei auf dem Rücksitz

Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 9)
 

Früher war es anders. Und auch wenn man (zu) schnell sagt, anders sei auch besser gewesen, so trifft das in diesem Fall zu. Wenigstens für uns Journalisten. Früher ist gar nicht so weit weg, 2006 war es bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, die «Sommermärchen» genannt wird, obschon nicht alles nur märchenhaft war. 

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Die Schweizer Fussballer logierten während des Turniers in Bad Bertrich, einem kleinen Dorf im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz in einem Seitental der Mosel, idyllisch gelegen, eine einzige Strasse führt durch den beschaulichen Ort, Kühe weideten in der Nähe, Kirchenglocken läuteten immer wieder. Fürstenhof hiess das Hotel der Schweizer, der Kurpark war nur für sie reserviert, im Üssbachtalstadion wurde trainiert, wobei «Stadion» ziemlich übertrieben ist, es war eine Wiese mit einer kleinen Tribüne, aber alles für die Schweizer hergerichtet, der Rasen millimetergenau geschnitten.

Auch damals gab es tägliche Pressetermine, im Kursaal des Hotels, aber es kamen dort nicht nur zwei Vertreter der Mannschaft, wie es heute so ist, sondern mehrere, und wir Journalisten konnten an Tischen sitzen und reden, nicht immer wurde auf die Uhr geschaut, es blieb meistens Zeit für eine zweitletzte und letzte Frage.


Das beschauliche Bad Bertrich

Und eines war ganz anders, damals. Wir fragten einen Spieler, ob es möglich sei, ein persönliches Interview mit ihm zu führen, in Ruhe irgendwo, und irgendwie brachten wir sie aus dem Hotel, vorgesehen waren solche Gespräche eigentlich nicht, an breitschultrigen Bodyguards vorbei.

Mit Pascal Zuberbühler, der an dieser WM 390 Minuten lang unbezwungen im Tor stand, marschierten wir durch das Dorf, das Café hiess, meine ich, «Entenfang» und wir sassen draussen im Garten unter einem Schirm für Bierwerbung. Mit Daniel Gygax gingen wir ins Tanzcafé «Flair», das auch ein Musikladen war, mit Hunderten von CD’s, nicht zufällig, denn Gygax, der Stürmer, trat hobbymässig manchmal auch als DJ auf, und so war auch das Bild zum Text, Gygax als DJ im Tanzcafé, und wir sprachen mit ihm nicht nur über das Turnier, sondern auch über Raclettekäse, wie er Gilbert Gress imitiert und über elektronische Musik. Der Titel zum Interview lautete: «Ich bin schon ein komischer Vogel». Später lasen wir auf einem Plakat, das irgendwo im Dorf hing: «Im Tanzcafe Flair kann man den Alltag mit DJ Monica vergessen.»

Mit Daniel Gygax im Tanzcafé «Flair»

Für Alex Frei parkten wir unseren Mietwagen beim Hinterausgang des Hotels, er nahm auf dem Rücksitz Platz, und wir fuhren mit ihm hoch zum Waldhotel Marienhöhe, unserem Quartier, und die fürsorgliche Hotelbesitzerin Ulla Rebentisch war ganz nervös ob dem prominenten Gast. Mehr als eine Stunde sassen wir auf dem Balkon, und Ulla Rebentisch brachte uns und vor allem Frei einige Espressi - so, wie sie einige Tage später dem Reporter ein Lunchpaket vor die Zimmertüre stellte, weil dieser schon um fünf Uhr früh abreisen musste, um rechtzeitig an einen anderen WM-Ort zu gelangen und der Frühstücksraum um diese Zeit noch geschlossen war.

Heute, 16 Jahre später bei der WM in Katar - Einzelinterviews mit einem Spieler: unmöglich. Zusammen mit einem in ein Café in Doha gehen: undenkbar! Einen gar mit einem Mietwagen irgendwo auf dem Rücksitz vom Hotel wegschleppen: Es hätte wohl Entzug der WM-Akkreditierung zur Folge!

Idyllisch war es im idyllischen Bad Bertrich, damals 2006. Jetzt, 2022, logieren die Schweizer in Doha im feudalen Le Royal Méridien, kein Journalist kommt nur in die Nähe.

Im Kurpark des Fürstenhofs spielt heute vielleicht immer noch das Salonorchester Hungarica in seinen blauen Kostüms, die Bilder der Schweizer Mannschaft hängen wohl weiterhin in einer Ecke des Restaurants, und einer der Wanderwege rund um das Dorf heisst sicher noch: «Köbis Trainingsweg der Schweizer Nati». Bad Bertrich sei der 27. Kanton der Schweiz, hiess es damals.
 
 
 
 
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