Der Selbstbesoffene

Gesehen, gelesen, gehört – Der Katar-Blog (Nr. 6)
 

Sie waren an diesem Morgen so viele im Bistro im Zürcher Seefeld, dass sie gleich zwei Tische beanspruchten, sie waren nacheinander gekommen, und sie hatten gleich nur ein Thema, kaum stand der Espresso vor ihnen. Eine Schande sei er, sagt einer, und die anderen wissen gleich, von wem er redet, eine Schande für die Schweiz, ergänzt ein anderer.

Der ist doch kein Schweizer mehr, sondern ein Katarer, sagt einer, und wieder fällt ihm einer ins Wort: Nicht nur Katarer, er hat sich auch afrikanisch, arabisch, schwul, behindert und als Arbeitsmigrant gefühlt, später gar als Frau, und habt ihr sein Gesicht gesehen, wie er während seinem Monolog gequält seinen Mund verzog, und diese Kunstpausen dazwischen, die er sicher in seiner Luxussuite die ganze Nacht vor dem goldigen Spiegel geübt hat. Der «Spiegel» habe es richtig geschrieben: «Der Selbstbesoffene.»

Gianni Infantino und seine bizarre Rede

Einer, der bisher geschwiegen hatte, er hört, das wissen die anderen, jeweils die morgendliche Predigt von Roger Köppel auf dessen Videokanal: Der Gianni Infantino habe eine grossartige Rede gehalten, habe dieser gesagt. Die anderen lachen. Du mit deinem, sie nehmen den Namen nicht in den Mund, der behauptet doch immer das Gegenteil von dem, was alle anderen sagen, der sagt in vier Wochen auch, es sei Ostern und nicht Weihnachten.

Sie wechseln das Thema. Aber er, der sei für die Schweiz ein Glücksfall und das Beispiel, dass der Fussball auch seine schönen Seiten hat. Ja, schön sei er, sagt einer, lacht dabei, er tue auch alles, damit er in jeder Situation blendend aussieht.

Yann Sommer und das Lied «Hero» (Screenshot SF)

Sie reden von Yann Sommer, dem Schweizer Torhüter, dem das Schweizer Fernsehen am Sonntagabend einen langen und interessanten Dok-Film gewidmet hat, «Out of the Box». Er sei, sagt einer, der Roger Federer des Fussballs. Im Bistro reden sie beeindruckt, wie Sommer im Meer gesurft und auch auf dem Brett ständig gelächelt habe, und wie er auf seiner Gitarre spielte. Ein Bruce Springsteen, den er so verehrt, sei er zwar nicht, sagt einer, aber das Lied, das er zuletzt im Film mit seiner Gitarre vorführte, «Hero» heisse es, sei stark gewesen, es habe ihn an Bryan Adams erinnert.

Jetzt muss er aber auch als Torhüter wieder ein Held sein, sagt einer, sie stehen jetzt auf, verlassen das Bistro. Er hoffe nur, dass dieser andere Schweizer, dieser Selbstbesoffene, am Donnerstag nicht auf der Tribüne sitze, wenn die Schweizer gegen Kamerun spielen. Er müsse sonst den Fernseher abschalten.


 
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