Zugferien
Blog-Nr. 403
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Der Tag beginnt früh, aber gut. Etwas länger Zeit im Zürcher HB, einen Espresso mehr, Zeitungen lesen, so denke ich, als die S16 im Bahnhof Erlenbach verspätet einfährt und es für mich somit auf einen Zug früher reicht. Aber eben eingestiegen kommt die Durchsage: «Wegen Bauarbeiten fährt dieser Zug nur bis Küsnacht.»
In Küsnacht rund um den Bahnhof stehen viele, und niemand weiss weiter. Einige versuchen, ein Taxi zu rufen, ein Bus steht da, doch der fährt nach Zumikon weiter, nicht in die Stadt. Bis jemand kommt, er hat es offenbar auf dem Handy gesehen: Die S20 fährt, 07.23 Uhr ab Küsnacht.
Es stehen sehr, sehr viele auf dem Perron, alles Gestrandete, Schüler, Geschäftsleute, auch andere auf Reisen, Junge und Alte, und die S20, die pünktlich kommt, ist schon sehr, sehr voll.
Aber irgendwie pferchen sich alle hinein. Und sogleich diese Durchsage: «Ausnahmsweise hält diese S20 an allen Stationen, Goldbach, Zollikon, Tiefenbrunnen.»
Sie hält wirklich überall, fährt aber langsam, bei Zollikon besonders, denn hier soll der Grund für die technische Störung sein, eine defekte Weiche.
Im Bahnhof Tiefenbrunnen kurz der Gedanke: Hier aussteigen, mit dem Tram 4 zum HB? Gedanke verworfen.
Leider.
Denn: Der Zug rollt wieder, aber jetzt sehr, sehr langsam, hinein ins Riesbachtunnel – und dann: Er steht still, mittendrin, es ist, ich schaue auf die Uhr, 07.47. Er steht lange still, und irgendwann die Durchsage: «Die S6 und die S16 fahren wegen technischen Problemen an Bahngleisen nicht. Nehmen sie die S20.»
In dieser sind wir. Und stehen still und im völlig überfüllten Zug sehr eng beieinander. Einige schauen ständig auf ihr Handy, wie das heute praktisch alle tun im Zug, einige telefonieren und teilen mit, dass sie verspätet seien, sie wüssten nicht wie lange, einige reden aber miteinander, wildfremde, die sonst sicher nicht reden würden, aber jetzt haben alle ein Thema: Wir stehen still. Und es ist heiss, sehr heiss, die Klimaanlage funktionierte längst nicht mehr.
Dann, Achtung, eine Durchsage: «Es gibt ein Problem, aber wir arbeiten daran, bitte bleiben sie ruhig.» Wir sind es.
Bitte bleiben Sie zu Hause, das hatte es vor noch nicht allzu langer Zeit geheissen. Aber wir sind nicht zu Hause, wir sind im Zug, es ist acht Uhr, mein nächster Zug, der nach Florenz, fährt im HB um 08:33 Uhr ab. Ein Kind, vielleicht vier, sitzt am Boden mit dem Handy der Eltern, schaut sich einen Film an, vergnügt. Die Frau neben mir hat einen grossen Geburtstagskuchen bei sich, im Büro feiert jemand Geburtstag, sie hat auch einen Fächer bei sich, praktisch in diesem Moment, es ist sehr, sehr, sehr heiss, gefühlt jede Minute ein Grad wärmer, über 40 inzwischen, sicher.
Zwischen Küsnacht und Tiefenbrunnen würden Ersatzbusse verkehren, ist eine nächste Durchsage – und dann, oh schreck: Das Licht geht aus, es ist nicht nur sehr, sehr, sehr heiss, sondern jetzt auch sehr, sehr, sehr dunkel in der S20, einige leuchten mit ihren Handys. Und im Dunkeln kommt die nächste Durchsage: «Auch zwischen Tiefenbrunnen und Stadelhofen ist der Bahnverkehr unterbrochen, Grund: ein blockierter Zug.»
In diesem stehen wir dicht gedrängt und immer mehr schwitzend. Immerhin, es kommt wieder Licht. Und jetzt hören wir: Der Lokführer arbeite am Problem, es werde noch einige Minuten dauern, man bitte um Verständnis. Versuchen wir zu haben. Draussen sollen sie schemenhaft Gestalten gesehen haben, melden einige, die an der Tür stehen, orange gekleidet, offenbar Arbeiter. Vielleicht retten sie uns.
Es ist jetzt 08.30 Uhr, und dann schauen sich alle an und lachen miteinander: «Bahnhof Stadelhofen» hat am Lautsprecher eine Stimme gemeldet. Wäre schön, wir wären dort.
Aber im Bahnhof Stadelhofen, das hören wir nachher auch, soll der Rettungszug stehen, der uns bald abschleppen wird. Haben sie nur noch etwas Geduld, es tönt freundlich, aber gefühlt sind es jetzt hier drinnen ungefähr 50 Grad. Ein Schüler sagt, jetzt hätte er die Prüfung verpasst, er wirkt nicht unglücklich.
Minuten vergehen, viele Minuten, mindestens 20, es ist jetzt bald 9 Uhr, seit über einer Stunde stehen und schwitzen wir und reden miteinander und einer fragt, ob dieser Zug auch einen Speisewagen habe, alle schmunzeln, und ein anderer telefoniert ins Büro und sagt, er mache heute Zugferien.
Und dann, tatsächlich, noch nie solches erlebt, im Zug klatschen alle, einige greifen gleich zum Handy, um es der Welt mitzuteilen: Der Zug fährt, ganz langsam zwar, aber er fährt Richtung Stadelhofen. Und er hält auch im Bahnhof Stadelhofen, es ist jetzt 09.08 Uhr, er hält, bleibt aber ein Gefängnis: Die Türen öffnen sich nicht, es nützt nichts, den grünen Knopf zu betätigen.
Aussen kommen Bahnangestellte, und sie schaffen es. Der Weg in die Freiheit ist frei, alle sagen sich Tschüss und wünschen einen schönen Tag und lachen sich an, und ich denke: Solches müsste eigentlich mehr passieren, Zugfahren oder Zuganhalten und sich als Gruppe fühlen, vereint im Unglück, das nicht zu unglücklichen Gesichtern führt, sondern zu einer Schicksalsgemeinschaft, die miteinander redet, ins Gespräch kommt, notgedrungen, mehr schmunzelt als jammert, trotz allem.
Hätte ich doch im Tiefenbrunnen das Tram genommen. Das denke ich doch.
Mein Zug nach Florenz ist wohl inzwischen im Gotthardtunnel.
Es ist jetzt 08.30 Uhr, und dann schauen sich alle an und lachen miteinander: «Bahnhof Stadelhofen» hat am Lautsprecher eine Stimme gemeldet. Wäre schön, wir wären dort.
Aber im Bahnhof Stadelhofen, das hören wir nachher auch, soll der Rettungszug stehen, der uns bald abschleppen wird. Haben sie nur noch etwas Geduld, es tönt freundlich, aber gefühlt sind es jetzt hier drinnen ungefähr 50 Grad. Ein Schüler sagt, jetzt hätte er die Prüfung verpasst, er wirkt nicht unglücklich.
Minuten vergehen, viele Minuten, mindestens 20, es ist jetzt bald 9 Uhr, seit über einer Stunde stehen und schwitzen wir und reden miteinander und einer fragt, ob dieser Zug auch einen Speisewagen habe, alle schmunzeln, und ein anderer telefoniert ins Büro und sagt, er mache heute Zugferien.
Und dann, tatsächlich, noch nie solches erlebt, im Zug klatschen alle, einige greifen gleich zum Handy, um es der Welt mitzuteilen: Der Zug fährt, ganz langsam zwar, aber er fährt Richtung Stadelhofen. Und er hält auch im Bahnhof Stadelhofen, es ist jetzt 09.08 Uhr, er hält, bleibt aber ein Gefängnis: Die Türen öffnen sich nicht, es nützt nichts, den grünen Knopf zu betätigen.
Aussen kommen Bahnangestellte, und sie schaffen es. Der Weg in die Freiheit ist frei, alle sagen sich Tschüss und wünschen einen schönen Tag und lachen sich an, und ich denke: Solches müsste eigentlich mehr passieren, Zugfahren oder Zuganhalten und sich als Gruppe fühlen, vereint im Unglück, das nicht zu unglücklichen Gesichtern führt, sondern zu einer Schicksalsgemeinschaft, die miteinander redet, ins Gespräch kommt, notgedrungen, mehr schmunzelt als jammert, trotz allem.
Hätte ich doch im Tiefenbrunnen das Tram genommen. Das denke ich doch.
Mein Zug nach Florenz ist wohl inzwischen im Gotthardtunnel.
Eine nächste musikalische Lesung 21. August
im Garten bei «Culture Time» in Winterthur
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