In einem Zug gelesen
Blog-Nr. 375
Ein Buchtipp
Und gedacht, nach vier Stunden Lesen, so lange dauerte auch die Zugfahrt: schön, unterhaltsam, spannend am Ende; stark die Sprache und der Witz und der Witz in der Sprache von Daniel Glattauer, dem Wiener Erfolgsautor.
Das Buch handelt von einem Zug, genauer: Von einer Zugfahrt. Von Bahnhof zu Bahnhof, einsteigen in Wien-Hütteldorf, aussteigen in München, die Westbahnstrecke. Von einem, der Liebesromane schreibt und einst dafür gefeiert wurde, aber im Zug eigentlich Ruhe sucht und nicht reden will, nicht über seine Bücher, nicht über die Liebe, schon gar nicht über seine. Und dann sitzt er im Abteil einer Frau gegenüber, die reden will, auch oder nur über die Liebe, sie hat etwas gegen Langzeitbeziehungen, sie ist wegen einer Affäre nach München unterwegs..
«Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?», fragt sie, und sie fragt ständig in diesem Buch, sehr bald sehr indiskret und fast unverschämt. «Ihre Frage ist klüger als jede mögliche Antwort darauf», erwidert er. «Danke. Probieren Sie es trotzdem.»
Und so reden sie. Von Wien bis München. Eduard Brünhofer, so heisst der Ich-Erzähler, ist ein Erfolgsautor, wie auch Daniel Glattauer, er schreibt Liebesromane, sein letzter, «Tanz im Eis», liegt aber schon 13 Jahre zurück, weil er sich inzwischen zu alt fühlt, über Liebe und Liebende zu schreiben, ihm ist der Stoff dafür ausgegangen und die Lust, er ist in einer Schaffenskrise. Er sollte aber ein neues Buch schreiben, deswegen fährt er nach München zu seinem Verlag, es ist ein unangenehmer Termin, er hat bereits einen Vorschuss bezogen, 100 000 Euro; er sollte längst liefern, denkt an ein autobiografisches Sachbuch mit dem Arbeitstitel «Ich liebe Alkohol», doch die Verlegerin will das nicht.
«Man muss sich die Liebe vorstellen.
Die Vorstellung ist kräftiger als die Erfahrung.
Die Vorstellung lebt von der Fantasie.
Die Erfahrung macht sie zunichte.»
Und dann sitzt er, spätmittleren Alters, eben im Zug, im gleichen Vierer-Abteil schräg gegenüber von Catrin Meyr, frühes mittleren Alters, einer Physio- und Psychotherapeutin, die nicht an die ewige Liebe glaubt und ihr Singledasein verteidigt. Sie begegnen sich zufällig oder, wie sich erst später herausstellt, gar nicht zufällig, und sie beginnen ein Gespräch über Lieben und Leben. Sie glaubt, sein Gesicht zu kennen, weiss aber nicht von wo, denkt, es könnte ihr Englischlehrer von anno dazumal sein, erfährt dann, dass er Schriftsteller sei. Aha, der, sagt sie, behauptet aber, seine Bücher nie gelesen zu haben.Es gibt im Buch schöne Sätze über die Liebe: «Man muss sie sich vorstellen können. Die Vorstellung ist kräftiger als die Erfahrung. Die Vorstellung lebt von der Fantasie. Die Erfahrung macht sie zunichte.» Oder, als Brünhofer über die Kennenlernphase mit seiner Frau spricht: «Schliesslich schoss sie aus mir heraus. Die Botschaft alle Botschaften. Die Wahrheit aller Wahrheiten, weil man sie als Unwahrheit niemals über die Lippen bringen würde, die drei Worte alle Worte. Und Gina (seine Frau) erwiderte: Ich dich auch.»
Eduard Brünhofer sagt es im Buch, oder eben Daniel Glattauer – der Erfolgsautor im Buch und der Erfolgsautor aus Wien im realen Leben, und Glattauer kann vor allem eines, wunderbare Dialoge schreiben, wie damals in «Gut gegen Nordwind», seinem bisher besten Werk, millionenfach verkauft und verfilmt und im Theater gespielt.
Zwei Menschen begegnen sich, kommen ins Gespräch. In «Gut gegen Nordwind» mit einem E-Mail-Verkehr, so, wie man heute gerne kommuniziert, im digitalen Zeitalter, es ist ein Buch für Verliebte; in seinem neuen Buch sehen sie sich direkt in die Augen, kommen sich näher, wie man sich früher näher kam, und reden über die Schwierigkeiten der Liebe. Acht Lachvariationen kommen vor, Lächeln zwei beispielsweise: halbironisch, Lächeln drei vollironisch.
Brünhofer ist einer, der lieber zuhört, ein Beobachter, das seien seine Qualitäten, doch der Wein, sie trinken diese Miniaturfläschchen, die es nur noch im Zug oder Flugzeug gibt, lockert auch seine Zunge, sie trinken das erste Glas schon früh am Nachmittag. Glattauer sagte einmal über sich, er sei ein «Fremdmenschenversteher».
Es gibt viel Ironie in diesem Buch um Liebe, es ist ein Buch, in dem Glattauer Autobiografisches und Erfundenes vermischt, und dass sein Protagonist Brünhofer glücklich verheiratet ist wie er, sei kein Zufall, sagt Glattauer. Die Frau von Brünhofer heisst Gina, auf der ersten leeren Seite im Buch heisst es: «Für Lisi». Elisabeth heisst die Frau von Glattauer, sei mehr als 20 Jahren sind sie zusammen.
Das Buch ist unterteilt in Kapitel mit Stationen, Sankt Pölten, Amstetten, Linz, Salzburg, andere, alle Stationen auf dem Weg von Wien nach München, der Liebesroman-Autor überlegt sich einige Male, den Zug frühzeitig zu verlassen und sich Catrin zu entziehen, aber zuletzt sitzen die beiden im Café «A Little Lost» nahe beim Münchner Hauptbahnhof, ein Podcast spielt nun eine Rolle, und vorher kommt auch Ramazzotti, ein gebürtiger Villacher mit neapolitanischen Wurzeln in einem weisswein Sakko, vor – mehr sei nicht verraten.
Nur noch dieser Satz aus dem Buch, Seite 99, als ich im Odeon das erste Glas Roja bestellte: «Ich halte an dieser Stelle fest, dass ich nicht in der Absicht in den Zug von Wien nach München gestiegen bin, um über meine sexuellen Gefühle beim Hineinfühlen in eine Liebesszene zweier Romanfiguren zu reden. Doch selbst wenn ich jetzt aufspringe und die Notbremse ziehe, werde ich Catrin vermutlich nicht stoppen können.»
Lesen Sie es auch in einem Zug.
PS: «Das Geheimnis einer guten Beziehung? Da gibt es kein Geheimnis. Vielleicht ist das das Geheimnis.» Auch das steht im Buch, Seite 146. Beim dritten Glas im Odeon mit Glattauer.
Daniel Glattauer: In einem Zug. – Dumont-Verlag, 205 Seiten.
Vorschau 2025
Am Sonntag, 2. März, 11 Uhr die nächste musikalische Lesung:
Nochmals in der Immobilenwerkstatt in Küsnacht,
mit Fredy Wettstein, Friederike Hempel
und Lukas Langenegger
und einem neuen Programm.
Und Bilder von Lizzy Niebergall
Anmeldungen: fredy.wettstein@gmail.com
Oder: WhatsApp 079 414 40 63
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