Schöne Welten
Es ist seit Jahren ihr Ritual, immer am zweiten eines neuen Jahres treffen sie sich in ihrem Bistro im Zürcher Seefeld, Bruno, der Werber, und Luca, der Architekt, und an diesem Tag, obwohl es noch Morgen ist, trinken sie keinen Espresso, sondern stossen immer mit einem Cà del Bosco Franciacorta Brut Cuvée Prestige «Edizione 44» an, dem edlen, von Maurizio Zanella, du weisst, rufen sie jeweils dem Kellner Toni zu, der nur nickt, weil er natürlich weiss, was seine treuen Gäste wollen. Sie wollen auf ein schöneres Leben anstossen.
Bruno sitzt diesmal bereits am kleinen Tisch im Bistro, als Luca beschwingt und fast federnd durch die Türe kommt, vor sich hat er nicht nur eine Tasse, sondern gleich eine ganze Kanne Tee, ein besonderer offenbar, extra für ihn zubereitet, mit Fenchel, Holunder und Honig, und neben ihm liegt eine Monsterpackung von Papiertaschentüchern und ein kleines Gerät, aus dem er sich später immer wieder etwas in die Nase spritzen wird.
Luca versucht zunächst den ungewohnten Anblick seines offensichtlich leidenden Freundes zu ignorieren, und beginnt, kaum dass er sich gesetzt hat, zu erzählen.
Vom stahlblauen Himmel, von den tief verschneiten Bergen, von der herrlichen Luft, der strahlenden Sonne, von den Langläufern, die lautlos über die Loipen gleiten, von den drei Eisfeldern nebeneinander, auf einem hätten sie geknebelt, Väter mit ihren kleinen Kindern, die ihre Schlittschuhe sicher noch nicht selber anziehen konnten, auf einem anderen hätten ältere Leute mit Besen gewischt und zärtlichem Gefühl Steine von sich weggeschoben, und auf dem dritten hätten Mädchen ihre Pirouetten gedreht und Dreijährige sich an Plastikpinguinen festgehalten und wären trotzdem immer wieder hingefallen. Gleich nebenan auf der verschneiten Strasse seien immer wieder Pferdeschlitten vorbeigefahren, und wer darin sass, habe manchmal auffällige Pelze getragen.
Bruno scheint nicht richtig zuzuhören, sagt nur, eine schöne, heile Welt, und erzählt jetzt von sich, wie er tagelang im Bett gelegen habe, krank, richtig krank, einfach Grippe, wie wir sie früher auch gehabt hätten, und was er aus Langeweile alles gelesen und gesehen habe, über den Raketenterror in der Ukraine, und dass die Russen spezielle Marschflugkörper abgefeuert hätten, eine einzige koste 13 Millionen Dollar, und an einem Tag hätten sie Kriegsmaterial im Wert von 1,3 Milliarden Dollar verbraucht, das sei doch Wahnsinn, was man mit diesem Geld alles Gescheites machen könnte, und er sagt, leidend, weil er selber leidet, aber auch besorgt ist über den Zustand dieser Welt: Alles macht Angst.
Bruno sitzt diesmal bereits am kleinen Tisch im Bistro, als Luca beschwingt und fast federnd durch die Türe kommt, vor sich hat er nicht nur eine Tasse, sondern gleich eine ganze Kanne Tee, ein besonderer offenbar, extra für ihn zubereitet, mit Fenchel, Holunder und Honig, und neben ihm liegt eine Monsterpackung von Papiertaschentüchern und ein kleines Gerät, aus dem er sich später immer wieder etwas in die Nase spritzen wird.
Luca versucht zunächst den ungewohnten Anblick seines offensichtlich leidenden Freundes zu ignorieren, und beginnt, kaum dass er sich gesetzt hat, zu erzählen.
Vom stahlblauen Himmel, von den tief verschneiten Bergen, von der herrlichen Luft, der strahlenden Sonne, von den Langläufern, die lautlos über die Loipen gleiten, von den drei Eisfeldern nebeneinander, auf einem hätten sie geknebelt, Väter mit ihren kleinen Kindern, die ihre Schlittschuhe sicher noch nicht selber anziehen konnten, auf einem anderen hätten ältere Leute mit Besen gewischt und zärtlichem Gefühl Steine von sich weggeschoben, und auf dem dritten hätten Mädchen ihre Pirouetten gedreht und Dreijährige sich an Plastikpinguinen festgehalten und wären trotzdem immer wieder hingefallen. Gleich nebenan auf der verschneiten Strasse seien immer wieder Pferdeschlitten vorbeigefahren, und wer darin sass, habe manchmal auffällige Pelze getragen.
Bruno scheint nicht richtig zuzuhören, sagt nur, eine schöne, heile Welt, und erzählt jetzt von sich, wie er tagelang im Bett gelegen habe, krank, richtig krank, einfach Grippe, wie wir sie früher auch gehabt hätten, und was er aus Langeweile alles gelesen und gesehen habe, über den Raketenterror in der Ukraine, und dass die Russen spezielle Marschflugkörper abgefeuert hätten, eine einzige koste 13 Millionen Dollar, und an einem Tag hätten sie Kriegsmaterial im Wert von 1,3 Milliarden Dollar verbraucht, das sei doch Wahnsinn, was man mit diesem Geld alles Gescheites machen könnte, und er sagt, leidend, weil er selber leidet, aber auch besorgt ist über den Zustand dieser Welt: Alles macht Angst.
Luca hört nicht zu. Er erzählt jetzt von der Silvesternacht in Sils Maria im Engadin, dem Dorf, das der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche einmal «Perla perlissima» genannt hat, und Luca sagt, am Abend habe es angefangen zu schneien, märchenhaft sei das gewesen im Lichte des Mondes, und als er nach Mitternacht spazieren ging, habe aus einem Hotel Musik geklungen und drinnen hätten Leute getanzt, Männer mit komischen Hüten auf dem Kopf und Frauen mit Federn im Haar und roten Pappnasen, fröhlich ausgelassen twistend.
Ja, sagt Bruno jetzt, und diese Bilder aus der Silvesternacht in Berlin, Liveticker auf allen Kanälen habe es gegeben, 4000 Polizisten in der Stadt, abgesperrte Strassen und Plätze, verbarrikadierte Häuser, weil wieder wüste Ausschreitungen drohten, und auch in Zürich hat es in dieser Nacht aus verschiedenen Gründen Schwerverletzte gegeben. Dann die Panik wegen des Hochwassers in Niedersachsen, das Erdbeben in Japan, und in einem Nachrichtensender habe er gehört, dass Putin sagte, die Russen würden in der Ukraine für die Freiheit in der ganzen Welt kämpfen.
Jetzt schweigen die beiden. Luca will dem Kellner ein Zeichen geben, dass er die Gläser mit dem Franciacorta, diesem besonderen, betont er noch einmal, bringen soll, aber Bruno winkt energisch ab, schenkt sich Tee ein und greift nach dem Taschentuch.
Ja, sagt Bruno jetzt, und diese Bilder aus der Silvesternacht in Berlin, Liveticker auf allen Kanälen habe es gegeben, 4000 Polizisten in der Stadt, abgesperrte Strassen und Plätze, verbarrikadierte Häuser, weil wieder wüste Ausschreitungen drohten, und auch in Zürich hat es in dieser Nacht aus verschiedenen Gründen Schwerverletzte gegeben. Dann die Panik wegen des Hochwassers in Niedersachsen, das Erdbeben in Japan, und in einem Nachrichtensender habe er gehört, dass Putin sagte, die Russen würden in der Ukraine für die Freiheit in der ganzen Welt kämpfen.
Jetzt schweigen die beiden. Luca will dem Kellner ein Zeichen geben, dass er die Gläser mit dem Franciacorta, diesem besonderen, betont er noch einmal, bringen soll, aber Bruno winkt energisch ab, schenkt sich Tee ein und greift nach dem Taschentuch.
Luca sagt, dann halt nur ein Glas für mich, und jetzt versucht Bruno doch noch versöhnlich zu wirken, aber nicht ohne einen Seitenhieb auf seinen Freund. Weisst du, Luca, ich habe mir zwischendurch, und das war ein Aufsteller, auf 3sat ein paar Konzerte vom vergangenen Jahr angehört, wie immer an Silvester, Bob Dylan natürlich, die Stones, Tina, ach, da seien Tränen gekommen, und eines auch von Herbert Grönemeyer in der Arena von Gelsenkirchen, sein Lied «Tau» gleich zuerst, und da gibt es diese Liedzeile:
Luca kennt Grönemeyer auch, er hat ihn zuletzt live im Hallenstadion in Zürich gesehen, und sagt, er habe auf seinen Spaziergängen auch immer wieder Musik gehört, Züri-West vor allem, ihr neues wunderbares Album, aber irgendwann seien ihm diese himmeltraurigschönen Texte zu viel und er melancholisch geworden, und er habe alte Lieder von Kuno hören müssen, vor allem das, wo es heisst:
Vielleicht, sagt Bruno jetzt, nur noch versöhnlich, hätten wir heute nur über Lieder reden sollen und nicht darüber, in welch verschiedenen Welten wir diese Tage verbracht haben. Vielleicht, sagt er, hilft es mir, nicht ständig Tee zu trinken, und er bittet Toni um einem Negroni Sbagliato, nur wenig Prosecco drin, bitte. Der tue ihm besser.
«Manchmal legt der Tau sich auf mich
Und dann werde ich leise traurig
Weil ich glaube nicht
Dass alles so schön ist, wie es ist.»
Luca kennt Grönemeyer auch, er hat ihn zuletzt live im Hallenstadion in Zürich gesehen, und sagt, er habe auf seinen Spaziergängen auch immer wieder Musik gehört, Züri-West vor allem, ihr neues wunderbares Album, aber irgendwann seien ihm diese himmeltraurigschönen Texte zu viel und er melancholisch geworden, und er habe alte Lieder von Kuno hören müssen, vor allem das, wo es heisst:
«Irgeneinisch geit’s gäng wieder witer
Irgendwo geit e Türe uf
Irgendeinisch fingt ds Glück eim»
Letzte Espresso-Kolumne: Kuno mit Schmerz
«Espresso», mit Bruno und Luca im Bistro, war von 2014 bis 2016 meine wöchentliche Kolumne im Tages-Anzeiger.
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