Kuno mit Schmerz

Blog-Nr. 294



Nach langer Zeit haben sie sich wieder mal getroffen, auf einen Espresso in ihrem Bistro im Zürcher Seefeld, Bruno der Werber, und Luca, der Architekt. Auch enge Freundschaften brauchen mal eine Auszeit, umso schöner ist das Wiedersehen.

Luca sitzt schon an einem kleinen runden Tisch, Toni, der Kellner, weiss immer noch, was er ihm bringen soll, einen Espresso Macchiato, ohne Zucker, und da kommt Bruno durch die Tür und den Vorhang, der die Kälte draussen halten soll: Luca sieht seinen Freund an und fragt sich sofort, was denn mit ihm los ist, die grauen Haare ziemlich wirr auf dem Kopf, er lächelt zwar, wie man lächelt, wenn man sich lange nicht mehr gesehen hat, fröhlich, aber seine Augen sind klein, man sieht ihm an, wie müde er ist, und in den Ohren hat er Kopfhörer.

Er habe kaum geschlafen, sagt Bruno, die Kopfhörer hat er jetzt in der Hand, Luca will sofort wissen, warum, denkt sich, vielleicht, ja, vielleicht, er hat von einem Freund gehört, dass er neu verliebt sei, das passiert auch nach 60, aber Bruno lässt ihn gar nicht reden, er hätte in dieser Nacht einfach wach bleiben müssen.

Luca weiss, dass Bruno oft noch spät fernsieht, manchmal wegen irgendeines Fussballspiels, und irgendein Fussballspiel läuft immer irgendwo, oder er schaut Lanz und seinen Gäste zu oder irgendeine andere Talkshow an.

Ich musste darauf warten, sagt Bruno.

Auf  was? fragt Luca.

Auf ihn, sagt Bruno.

Und er erzählt, wie er nach Mitternacht gesucht habe, erst bei Spotify, da habe er es gesehen, aber abgelehnt und den Streamingdienst gleich wieder verlassen, er wolle dafür bezahlen, das sei wichtig, und dann habe er im iTunes Store nachgeschaut – und tatsächlich, um halb eins in der Früh sei es aufgeschaltet gewesen, nur das Bezahlen habe erst beim vierten Versuch geklappt, und dann habe er noch auf Ex Libris gedrückt und gleich bestellt, denn er habe inzwischen wieder einen Plattenspieler und, er strahlt, als er das erwähnt, wie früher, so eine Scheibe, oh, wie er sich freue, wenn bald die Post komme.

Luca schaut seinen Freund fragend an, er weiss, dass der manchmal gerne in Rätseln spricht, aber bevor er etwas sagen kann, redet Bruno wieder, er wirkt jetzt sehr wach, ist aufgeregt und legt Zeitungen auf den Tisch, gleich mehrere, und jetzt ist selbst Luca erstaunt, der weiss, dass Bruno noch zu denen gehört, die Papier in der Hand halten wollen, wenn sie etwas lesen.

Da liegen sie ausgebreitet: Der Tagi, die NZZ, die Berner Zeitung, der Bund, der Blick, die Zürichsee-Zeitung, die Basler Zeitung, und alle zeigen nur einen Mann auf der Titelseite, das schönste Porträt im seriösen Blatt von der Falkenstrasse, das jahrzehntelang keine Bilder auf der Frontseite hatte. Und jetzt er, ein Bild aus jungen Jahren, mit seinem melancholisch-traurig-geheimnisvollen Blick.

Luca erkennt ihn sofort: Kuno! Er, Kuno Lauener, Züri West! Hat es das schon einmal gegeben, ein Gesicht am gleichen Tag auf fast allen Frontseiten der Zeitungen des Landes?

Und, sagt Bruno, eine Stunde auf SRF3, auch in «10 vor 10», alles habe er gelesen und gehört - und, endlich, er habe extra eine Kerze angezündet, sich tief in der Nacht auf das Sofa gelegt und den Lautsprecher aufgedreht: Das Album mit dem schönen Titel «Loch dür Zyt» und dem wunderbaren Cover, eine junge Familie auf einem kleinen Boot im Sonnenlicht, es sei, erfährt er, die junge Familie Lauener, Kuno, ein kleines Kind, frech lächelnd zwischen seinen beiden Brüdern.

Bruno, seine Augen sind nun wässrig, und man sieht ihm an, wie er berührt ist von den neuen Liedern, die traurig machen würden, melancholisch seien, manchmal düster, aber eben auch schön, oft mit einem Satz und einem Gedanken, der wieder Hoffnung macht, Songs, die Geschichten aus dem Leben sind, so persönlich wie vielleicht noch nie. Kuno erzählt von Spaziergängen durch ein Berner Quartier und den Wald und von Gefühlen im Bett, Bruno zählt die Titel einiger Songs auf, «Blätter gheie» mit Bilder des Sterbens, oder «D’Idee», das habe er schon mindestens zehnmal gehört, es sei einfach umwerfend, oder «Blueme, Tier u Vögu», und dann schauen auch andere Gäste im Bistro zu ihnen, denn Bruno zitiert laut eine Zeile aus dem letzten Lied des Albums, «Winterhale» heisst es, und Bruno, der Zürcher, spricht oder versucht bärndütsch zu sprechen:

«Und i louffe und i louffe
u d’Chäuti stieuht mr dr Schnuuf
aber chum du nume
du Jahr du Nöis
no grad gieben i nid uf»


15.9.2018 in Stäfa: Das für immer letzte Konzert von Züri West


Dann schweigt Bruno einige Minuten. Und sagt, weisst du Luca, meine Bilder kommen wieder hoch, dieser Samstagabend im September 2018, in einem Gewächshaus in einer Gärtnerei in Stäfa, inmitten von Palmen und Pflanzen, Kuno Lauener, in Jeans und weissem Hemd, die Hand wie immer meistens um den Mikrofonständer, als suche er Halt. Ein himmlisch schöner Abend sei das gewesen, auf seiner Vespa sei er heimgefahren, mit der Musik im Ohr, und damals sei ihm klar gewesen, dass er zum nächsten Konzert von Züri West wieder hingehen würde.

Es gibt kein nächstes Konzert. Es war in Stäfa das letzte. «Das Leben sei gerade beschissen, alles ist mühsam», sagt Kuno selber, seit drei Jahren wissen wir, dass er an multipler Sklerose erkrankt ist, er sei oft verwirrt und auch vergesslich geworden. Aber er sagt auch zwischendurch, seine Stimme klingt nicht mehr so rau wie früher, viel sanfter: «Es chunnt scho guet».  Oder eben: «No grad gieben i nid uf».

Jetzt schweigen Bruno und Luca, sie trinken noch einen Espresso, es ist schon der fünfte, Luca hatte eigentlich gedacht, sie würden bei ihrem Wiedersehen über vieles reden, Persönliches, aber auch über diese schrecklichen Nachrichten aus dieser derzeit düsteren Welt.

Aber, sagt Bruno zuletzt, weisst du, gerade dieses Album tut gut, passt zu dieser Welt. Es ist traurig. Aber auch schön.

Und, sie stehen schon draussen auf der Seefeldstrasse, Luca möchte aufs Tram, den Zweier, der gleich einfährt, um sich in der Stadt das Album ebenfalls zu kaufen, da nimmt ihn Bruno beim Arm: Nur schon dieser Gedanke im Titellied «Loch dür Zyt»: Wie er, sicher ist es Kuno, an einem Fenster steht in Bern und zuschaut, wie die Sonne gerade im Meer versinkt, Fernweh und Heimat in einem Satz, und «mis einsame Härz wo chlopfet u chlopfet u chlopfet u chlopfet». Oder, in einem anderen Lied: Schade, haben wir nie richtig zusammen geredet, singt und spricht Kuno darin, aber es ist gut, dass es jetzt vorbei ist.

Schöner kann Poesie nicht sein. Und Traurigkeit. Mit Schmerz.


»Espresso» mit Bruno und Luca war von 2014 bis 2016 meine Kolumne im Tages-Anzeiger.




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Kommentare

  1. Peter Birrer9.12.23

    Immer schön, wenn sich ein Zürcher in Bernisches verliebt - und dieser Liebe Ausdruck gibt

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