Meine Mamma, mis Mami



Ein Text bei der Abdankung in der reformierten Kirche Küsnacht.



Mamma, als kleines Kind habe ich dich Mami gerufen, aber später wurdest du meine Mamma – Mamma, ich habe so vieles im Kopf, wenn ich jetzt an dich denke.

Mami, weisst du noch, unsere Reisen ins Tessin, im Sommer fuhren wir immer ins Tessin in die Ferien; 1950, bei eurer Hochzeitsreise, warst du zum ersten Mal dort gewesen, und es gibt in den vielen Fotobüchern wunderschöne Bilder davon.


Und wir fuhren immer an den Lago Maggiore, den du, den wir so liebten, immer auf die Gambarogno-Seite, gegenüber Locarno und Ascona. Unsere Orte waren Gerra, Vira, Ranzo, San Nazzaro, Magadino, Orgnana.

Immer um fünf Uhr morgens fuhren wir in Küsnacht los, es war noch dunkel, und wir haben alle Pässe kennengelernt, die irgendwie und irgendwo ins Tessin führen, den Gotthard natürlich, San Bernardino – immer über die Berge, Tunnels gab es damals noch keine -, und alle anderen Pässe, Lukmanier, Julier, Maloja, Splügen, Susten, Nufenen oder Simplon, vielleicht hatte unser Papi auch noch andere Wege in den Süden gefunden.

Und es waren lange Reisen, mit mindestens zwei Stopps, und diese Stopps haben stets bedeutet: fast alles musste aus dem Auto rausgetragen werden, der Campingtisch und die Stühle und Decken und Kühlboxen und halbe Zelte, und wir liefen zu irgendeinem Fluss oder Bächlein und richteten uns dort ein. Stundenlang.

Glückliche Ferien im Tessin:
 Mutter, Tochter, Sohn

Meine Schwester Susy und ich – meine beiden anderen Schwestern waren damals noch nicht auf der Welt – mussten etwas essen, du Mami hattest zu Hause alles vorbereitet, und meistens mussten wir auch noch etwas spielen, Karten oder Federball, oder einfach dort länger sitzen bleiben und die Gegend geniessen - dabei wären wir doch nichts lieber als so schnell wie möglich im Tessin angekommen und hätten nach den ersten Gelati gefragt oder wären in den Lago Maggiore gesprungen.

Wir schafften es meistens erst nachmittags um vier oder fünf Uhr.

Mami, auch das ist mir vor Augen: Unser Alltag zu Hause am Rennweg 1 in Küsnacht.

Was hast du alles und alles mit der grössten Selbstverständlichkeit gemacht: Du hast gekocht, geputzt, es läutete, und du musstest die vielen Treppen runter laufen in den Laden, weil Leute kamen, um etwas zu kaufen oder Mappen und Portemonnaies zum Flicken gebracht haben oder Bestellungen aufgaben oder Kataloge holten für Möbel und Teppiche.

Und einmal, du erzähltest es später noch oft, da sei doch plötzlich dieser Roberto Blanco im Laden gestanden, du hättest es fast nicht glauben können, seist erschrocken, und er habe ein Kissen mit einer speziellen Grösse gewollt, und vielleicht hat deine Hand gezittert, als du seinen Namen aufgeschrieben hast: Roberto Blanco.

Nur - abgeholt hat er nachher das extra angefertigte Kissen nie. Dabei hattest du immer darauf gewartet, dass er nochmals kommen würde. Er kam nie mehr. Du sahst ihn fortan wieder nur am Fernsehen.

Und dann kamst du wieder vom Laden hoch in unsere Wohnung, und vielleicht hat es schon fünf Minuten später wieder geläutet, und du hast zwischendurch gekocht, und daneben mit uns die Franz-Wörtli abgehört und nach dem Essen mit Susy noch rasch bäbelet bevor sie wieder in den Kindergarten oder in die Schule musste, oder mir ein Pflaster über irgendeine Wunde gelegt, weil ich beim Fussballspielen auf der Strasse umgefallen war. «Was häsch denn wider gmacht?» fragtest du und hast den Kopf geschüttelt, aber auch geschmunzelt.

Alles hast du für uns gemacht, Mami, alles.

Besorgte Mutter

Und alles war für dich selbstverständlich. Mitglied der Arbeitsschulkommission warst du, Präsidentin im Damenturnverein, Vizepräsidentin der Kommission Johannesschule Küsnacht - und das alle neben uns Kindern, Haushalt und Laden.

Mamma, und jetzt sind die Bilder im Kopf noch sehr frisch. Weisst du noch, 2014 war es, du hattest lange gezögert, ob du dir das noch zutrauen solltest, du warst schon 86 und mit dem Laufen hattest du immer mehr Mühe: Familien-Ferien in einer Finca auf Mallorca. Aber dann sagtest du ja, ich komme gerne mit, unser Papi blieb zu Hause.

Und wir fuhren im Cabriolet durch die Strassen der Insel, du vorne, es war mitte September und immer noch Sommer, und du hast im Pool gebadet und wolltest nicht mehr aus dem Wasser raus, du liebtest das Wasser so - und einmal, da haben wir, Gabi und ich, dich gestützt und sind mit dir durch den Sand ins Meer gegangen. Was für ein wunderbares Bild, und du hast in dein kleines Tagebuch geschrieben, das wir jetzt gefunden haben: «So schön, das alles nochmals erleben zu dürfen.»

Mit 86 Jahren nochmals im Meer:
Es Trenc, Mallorca

Oder, ich glaube es war 2016, du warst jetzt 88, wir haben dich am Sonntagabend an die Chilbi in Küsnacht mitgenommen, Ursi kam auch mit, der Blues-Musiker Philipp Fankhauser spielte, und du hattest so Freude im Festzelt, wie dir überhaupt Musik, ganz verschiedene, immer Freude bereitete.

Ein Bild zusammen mit dem Cantautore Pippo Pollina, oben in Stäfa in diesem Gartenzentrum war es, kommt mir auch in den Sinn, und Pippo fragte nachher immer: «Wie geht es deiner wunderbaren Mamma?»

Zusammen mit dem Cantautore Pippo Pollina

Ein Sänger bedeutete dir ebenfalls viel: Udo Jürgens, und ein Lied konntest du immer wieder hören, es war auch das Lied von unserer leider viel früh verstorbenen Schwester Ursi: «Immer wieder geht die Sonne auf».

Mami, Mamma – dieses Lied, dieser Text passt so gut zu dir: Du warst so sonnig, so liebevoll, so grossherzig, so dankbar – und auch so bescheiden.

Mamma, Mami, wir danken dir, für alles, für so vieles. Wir vermissen dich so. Dein Lachen, deine Fröhlichkeit, deine grosse Liebe. Und was machen nur die Geissli oben im Park im Bethesda, du hast sie so geliebt, und ganz sicher vermissen auch sie dich sehr. 

Eine Freundin meiner Tochter Melanie schrieb mir in diesen Tagen: «Ich weiss, wie sehr ihr als Familie zusammen steht und wie schön ihr gegenseitig auf euch Acht gebt. Das ist bestimmt Bestandteil von Mimas und Karlis Erziehung und Werte.»

Ja, das ist es. Danke, Danke dir, Mamma und danke dir,  Papi.

Besuch kürzlich noch im Bethesda

Und ein Lied soll die Überleitung sein, ein Lied, das du auch gewünscht hast, es solle einmal in der Kirche gespielt werden. Nana Mouskouri singt es, und einer meiner ersten Texte, die ich für die Zürichsee-Zeitung geschrieben hatte, war eine Kritik über ein Konzert der Griechin im Kongresshaus. Wir haben diesen Zeitungsausschnitt auch gefunden, weil du ganz vieles ausgeschnitten und gesammelt hast, was ich geschrieben habe.

Ich weiss nicht mehr, ob Mouskouri damals dieses Lied auch gesungen hat, aber es ist ein wunderbares: «Gib einem Kind deine Hand», heisst es.

Mamma, Mami, du hast uns Kindern, Enkeln, Urenkeln, uns allen, so oft die Hand gegeben in deinem Leben.

 

Kommentare

  1. Anonym25.8.22

    Lieber Fredy. Dein Text; er hat mich unendlich berührt. Einfach wunderbar und voller Liebe. Danke fürs teilen. Gruss Und in Trauer mit dir be um deine liebe Mamma. Ester

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