«Hai, hai» in Tokio (II)



Die Journalisten bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio dürfen in den ersten 14 Tagen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, sie gelten als potenzielle Coronavirus-Träger. Sie dürfen vieles nicht, sie dürfen auch nicht einfach raus aus ihrem Hotel, nur 15 Minuten pro Tag in einem zugewiesenen Supermarkt etwas zum Essen einkaufen, sie werden ständig überwacht.
 Es ist so vieles anders in diesen Zeiten, anders als 2002 bei den Fussball-Weltmeisterschaften in Japan. Ein paar kurze Erinnerungen (siehe auch «Hai, hai» in Tokio I).


Schlafen im Zug. Er kommt in den Zug in einem Tokioter Vorort, es ist nach Mitternacht. Er, schwarzer Anzug, weisses Hemd und Krawatte, setzt sich hin, legt seinen Schirm auf den Boden neben die Füsse - und schliesst sofort seine Augen. Sein Körper baumelt hin und her und rutscht immer tiefer in die Bank, er fällt fast auf den Boden. Er hat seinen Mund bald weit offen, schläft tief. 

Nebenan schläft auch einer. Und auf der anderen Seite auch einer. Oder eine. Es schliessen hier viele sogleich ihre Augen, wenn sie sich in den Zügen oder in der Metro hinsetzen, nicht nur in der Nacht, auch mitten am Tag, eigentlich immer. Hält der Zug, schauen sie kurz hoch und nicken wieder ein.

Doch sie wissen immer, wann und wo sie aussteigen müssen. Meistens wenigstens. Der in jenem Zug in dieser Nacht zum Donnerstag in der hellblauen Keihin Tohoku Line schlief so tief, als würde er noch lange nicht aufwachen. Vielleicht fährt er immer noch im Kreis um Tokio herum.

Der Socke unter dem Bett. Sie klopft an die Hoteltür im 22. Stock in Shinagawa. Hält einen dunklen Socken in der Hand, was dem Gast irgendwie peinlich ist, aber in drei Wochen müssen die Kleider ja manchmal auch gewaschen werden, und Socken schmiss er wohl etwa fünf Paar in diesen weissen Sack, der im Kleiderkasten hing. Sie verbeugt sich unter der Hoteltür, redet und lächelt, und auch der Gast redet, aber die Sprache ist nicht die gleiche.

Sie scheint auch etwas verlegen und nickt, zeigt mit Gesten, ob sie in das Zimmer eintreten dürfe. Natürlich darf sie, und sie schaut sich überall um, auch unter das Bett - und tatsächlich, dort liegt das gesuchte zweite Stück. Sie lächelt und nickt, verbeugt sich zum Abschied, geht schweigend.

Fremd im fremden Land. Er, sie, fast alle lächeln und nicken in Japan. Sind immer sehr freundlich. Der Fremde blieb zwar in diesen drei Wochen fremd in diesem fremden Land. Aber einiges vom Fremden doch nicht ganz fremd. Der Gast lächelt und verbeugt sich inzwischen auch, ganz selbstverständlich. Jetzt ein letztes Mal. Sogar «hai, hai» sagt er, manchmal.

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