«Ist er vielleicht hier?»
Blog-Nr. 430
Notizen von der «schönsten Insel der Welt»
Javier, wie meist in kurzen Hosen und mit einem T-Shirt, kein Gramm Fett am Körper, so scheint es, hetzt herum, sein tägliches Fitnessprogramm. Er telefoniert, nimmt Reservationen auf, trägt sie beim Eingang in das Buch ein, begrüsst, immer freundlich und lachend, und redet, sucht einen Tisch, findet stets einen, begleitet Gäste an den Platz, die Menükarten schon in der Hand, nimmt erste Bestellungen auf, wenigstens zum Trinken, rennt wieder weg, hektisch, bedient zwischendurch das Musikgerät, weil jemand Geburtstag hat, jeden Abend feiert jemand, oft sind es mehrere, «Happy Birthday» als Dauerhit, verabschiedet Gäste wieder, bedankt sich, Adiòs, Adiòs oder oft Tschüss, neue kommen. Und das während Stunden, jeden Abend ausser Sonntag, in seinem Lokal Can Mel an der Carrer Major, mitten im kleinen Dorf Cas Concos des Cavaller auf Mallorca, am Rande des «Hamburger Hügels».
Es ist der Treffpunkt für fast alle im Südosten der Insel, so scheint es; es ist immer voll, die ersten kommen abends nach fünf, die letzten um elf, und alle finden immer einen Tisch, irgendwie. Die Küche ist spanisch und japanisch, und Pizza gibt es auch, gegen 30 Leute arbeiten an einem Abend, im Service, in den beiden Küchen, eine ist wenige Quadratmeter klein. Einmal, in diesem Sommer, erzählt Javier, hätten sie 400 Essen zubereitet, er klagt nicht.
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Javier mit Albert, am Tag, als sein drittes Kind den ersten Geburtstag feiert |
Im Inselradio «der schönsten Insel der Welt», was man auf dem Sender stündlich hört, sagen sie, der grösste Flugzeugträger der Welt, die «USS Gerald R. Ford», komme für einige Tage in den Hafen von Palma. Die linken Parteien rufen zu Protesten auf, einige sind empört. Mallorca dürfe nicht als Kulisse für die Drohgebärden der Grossmächte missbraucht werden. Andere sehen es wirtschaftlich, 4500 Marinesoldaten sind auf dem 337 Meter langen Schiff für 90 Flugzeuge, sie würden, so lauten Berechnungen, gegen 10 Millionen Euro Umsatz in Restaurants und Bars und Klubs und anderswo bedeuten. Sie seien viele Wochen nur auf dem Schiff gewesen. Kurzurlaub auf der Insel.
Christian in der Bar «Esperanza», welch ein Name, mehr Lokale dieser Welt müssten so heissen, bringt den Negroni ohne zu fragen, weil er den Gast inzwischen kennt, hier in Ses Covetes am einen Ende des Kilometer langen Sandstrandes Es Trenc. Dazu Pan con salsa y aceitunas, wunderbar. Die Sonne über dem Meer verfärbt sich langsam von gelb zu orange zu rosa zu rot. Das abendliche Schauspiel.
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Abuela Maria, 92, vor dem Can Mel |
Im «Diario de Mallorca» steht, dass die Regierung 800 Millionen für den Ausbau der Eisenbahn plane – es gibt bisher nur ein Streckennetz von rund 120 Kilometern mit zwei Linien –, aber es gäbe grossen Widerstand, von Bauern, die Land abgeben müssten und, hm, Umweltschützern.
Die Spanierin im Restaurant Beach in Ses Covetes kennt einen, weil man an jedem Morgen hier einen Café trinkt, sie ist immer schwarz gekleidet, aber nicht aus Trauer, sieht, dass ein Finger etwas blutet, verschwindet sofort hinter der Bar, bringt eine Büchse mit und holt ein Pflaster heraus. «Es peligroso», sagt sie, lacht aber, sie sieht selber, dass es eigentlich harmlos ist.
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Der Laden für alles in Cas Concos |
Früher, vor zehn Jahren, als das Restaurant Can Mel noch viel kleiner war, mit wenigen Tischen, Javier aber schon da, Pilar, seine Mutter dann im Laden, wenn Abuela Maria nicht dort sein konnte, hatte es beim Eingang einen Ständer mit Zeitungen zu kaufen, spanische, deutsche, auch Magazine. Vergangene Zeiten. In Santanyi, zehn Kilometer weg, hat es noch einen Laden für manches, auch für Zeitungen und Postkarten und Briefmarken. Es ist immer noch der gleiche Mann wie vor zwölf Jahren, der hinter dem Tisch steht. Wird es nächstes Jahr noch Zeitungen haben? Es gäbe noch einige, die kommen extra wegen der «Zeit» und «Bild» und der «FAZ» hierher, sagt er, aber früher, da sei es schon anders gewesen, da hätten viele gar vorreserviert.
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«Sa Cova», das Restaurant von Uwe Ochsenknecht in Ssantanyi |
«Ist er vielleicht hier?» sagt eine zu ihrem Mann, sie stehen vor dem «Sa Cova» gleich neben der mächtigen Kirche in Santanyi. Es soll Tage geben, da er hier ist, es ist seine Bar, die aber kürzlich geschlossen werden musste, weil es einen Brand wegen einer Friteuse gab. Bei der Wiedereröffnung anfangs Juli war Uwe Ochsenknecht anwesend, er beteiligt sich auch an einer Kampagne gegen Stierkämpfe auf Mallorca. Und an diesem Freitag ist er zusammen mit u.a. Peter Maffay an einer Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Palma, der Ort irritiert einige: am Ballermann. Ochsenknecht wäre also vielleicht später hier, in seinem «Sa Cova».
Im Inselradio auf der schönsten Insel der Welt gibt es stündlich einen Wetterbericht, erst mit Städten in Europa - «Zürich, bewölkt, 9 Grad» -, dann auch immer zum Inselwetter. Neben Temperatur und Sonne oder Wolken oder beides, meistens beides, wird immer auch die Regenwahrscheinlichkeit verkündet. «Heute 5 Prozent» heisst es an diesem Mittwoch; dann muss man am Es Trenc plötzlich unter einen Schirm flüchten, es schifft fürchterlich bei schwarzen Wolken, paar Minuten lang. Das – und hier – sind also diese paar Prozente, denkt man.
Sie redet spanisch oder katalanisch, man redet englisch, und plötzlich fragt die Frau im Geschäft in Santanyi: «Oder redet sie schwyzerdütsch?». Beide lachen. Sie ist seit 20 Jahren hier, wolle nie mehr weg.
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