Autos stoppen

Blog-Nr. 434



Zuerst war das Fotobuch, wieder mal angeschaut, weil es an diesem Tg draussen windig und nass und kalt war, es lag verstaubt in einem unteren Regal eines Gestelles. Es ist eines, wie Fotobücher früher waren, die Bilder an den vier Ecken festgehalten, was dazu führte, dass manche verloren gingen, zumindestens nicht mehr drin ist.

Dann ein paar Szenen im mehr als empfehlenswerten Film über eine dunkle Phase im Leben von Bruce Springsteen. Das Telefon, es hing bei vielen Einstellungen an einer Wand, an einer langen Schnur der Hörer, Wählscheibe zum Drehen, und wenn man unterwegs war, musste man mit dem Auto anhalten, im Film an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo, dort konnte man dann telefonieren. Nächster Anruf erst in Los Angeles möglich.

Oder, am Bahnhof in Küsnacht. Eben, es war sehr grau an diesem trüben Tag, aber die S-Bahn, die auf dem Gleis stand, war in den schönsten Herbstfarben gestrichen, mit verschiedenen Pfeilen drauf, gelb, rot, grün, blau, orange, violett, rosa; und ja, damals, vor vielen, vielen Jahren, die Lokomotiven und Wagen der SBB waren fast alle nur grün, aber es gab einen, den Roten Pfeil, und wir Kinder wussten, wann er vorbeifährt und sind oft hochgerannt zum Bahnhof, um ihn zu sehen. Und verpassten ihn dann doch immer wieder.

Als letztes: Ein Freund, der die Tour ab Januar organisiert, schickt Videos. HD Läppli, der Chaot, der durch das Leben stolpert, kommt in einer neuen Inszenierung zurück auf die Bühne, «Mensch Läppli», uraufgeführt wurde das Stück 1945 mit Alfred Rasser.

Es sind Erinnerungen an früher, und ich meide zu sagen, es war besser, es war einfach eine andere Zeit, und wenn wir doch glauben, es war damals besser, dann sollte man nie vergessen, dass wir immer, auch heute, die Möglichkeit haben, etwas besser zu machen, zumindest im eigenen Leben.

Aber eben das Fotobuch. Es muss Ende der Sechziger Jahre gewesen sein, leider steht nirgends eine Jahreszahl drin, ich und mein Freund, ein Handballkollege damals, Werner heisst er, hatten in den Sommerferien ein Ziel: Frankreich, das Meer, die Camargue, und, schon der Name, welche Poesie – Saintes-Marie-de-la-Mer. Die langen Sandstrände. Blauer Himmel. Vollmondnächte. Ein Sehnsuchtsort.

Selber Autofahren, dafür waren wir zu jung. Aber Autos stoppen. Das war damals in, nur «in» sagten wir nicht, es war einfach normal. Von Küsnacht oder irgendwo nach Zürich, tagsüber oder nachts zurück, spätnachts besonders, wenn auch kein Zug mehr fuhr und das war schon bald: Man stand auf der Seestrasse beim Bellevue auf dem Trottoir, dunkle Nacht, Daumen raus, hoffen, warten, irgendwer hielt immer irgendwann, Autos fuhren allerdings viel weniger.

«Avignon» in Zürich: Etwas gar optimistisch

Und wir stoppten damals also auch oder versuchten es, in diesem Buch ist es verewigt. Aber nicht «Zürich» schrieben wir auf unseren Karton, wir standen an diesem Julimorgen ja in Zürich beim Hardturmstadion, es gab, meine ich, noch keine Autobahn, und bald standen wir nicht mehr, sondern sassen auf dem Boden, bereits müde vom Warten, das Gepäck neben uns. Statt «Avignon», war etwas gar optimistisch, änderten wir erst auf «Genf», dann auf «Bern». Es half.

Irgendwann muss einer, eher einer statt eine, angehalten haben. So halten es die Bilder im Buch wenigstens fest, Brugg, Bern, Lausanne, Annecy, Aix-les-Bains, Chambéry, Varon, Valence, Salon, Arles und dann der Wegweiser, es gibt das Bild dazu: Nîmes, Montpellier, Les Stes Maries. 

Fast am Ziel

Ich habe die Reise im Buch mit einer Zeichnung festgehalten, mit roten Punkten jede Station, blau der Genfersee, blau das Meer als Ziel. Der Titel: Küsnacht-Camarque in 2 Tagen. In gleich grosser Schrift: 14 Wagen, 14-mal gewartet und gehofft! Im Rhonetal mussten wir es besonders genossen haben, es war eine Fahrt ohne Halt, 170 Kilometer.

Über den Weg zurück in die Schweiz ist im Buch weniger zu erfahren und gibt es keine Zeichnung mehr oder nur zwei Bilder und einen kurzen Text dazu: «Avignon, erst eine, dann zwei, drei, vier, fünf, zuletzt zwölf Stunden, wir glaubten, für immer hier bleiben zu müssen.»

Wir mussten es nicht, obwohl die Provence eine schöne Gegend ist. Statt vergeblich zu versuchen, ein Auto zu stoppen, haben wir resigniert den Bahnhof gesucht, mit der Bahn zurück nach Küsnacht.

Aus dem Fotobuch

Aber unvergesslich. Auch ein Moment damals, eine laue Sommernacht, mitten in den Dünen ein Konzert mit Joe Dassin, wir kannten den Namen gar nicht, genossen einfach diese einmalige romantische Stimmung, es war eine kleine Bühne, wir sassen rundherum im Sand. Heute denke ich, er muss doch auch «L’été indien» gesungen haben und «Salut les amoureux», doch das kann gar nicht sein, diese Lieder komponierte er erst später.

Im Buch hat es auch kein Bild davon. Mit diesen Kameras damals waren Fotos in der Nacht wohl nicht möglich. Dafür ein anderes, ich habe es dann auf den Umschlag des Buches geklebt: Ich, vorher (und auch nachher kaum) nie reitend, auf einem Camargue-Schimmel, mit viel Respekt, sehr konzentriert.

Erinnerungen, alle an einem Tag im Kopf, die Geschichten mit dem Telefonieren damals, der Rote Pfeil, Läppli – und eben: das verstaubte Fotobuch, Daumen hoch, bitte, bitte nehmt uns mit.

Es war vieles anders früher. 

Das Fotobuch



Neu
Eine eigene Webseite 
zum Blog, mit Fotos und Tipps

Nächste Lesung:
30. November 2025, ein Sonntag, 11 Uhr:
Immobilienwerkstatt in Küsnacht
(es hat noch ca 20 Plätze)

Anmeldung unter:


Den  Blog «Wieder im Auge» 
 auf Facebook folgen und lesen. 




Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Besuch bei Mamma

Kuno Lauener und der Fotograf

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Blauweisser Frust

Das Flick-Werk

Abschied nehmen

Genug ist genug

Chaos bei GC

Weite Reisen