Besseres Leben

Blog-Nr. 427

Ein Buchtipp – über 99 Menschen von Ulrike Gastmann



Facebook sei ihr Studio für Heim, Wald und Wiese, sagt sie. Und auf der Plattform, auf der manchmal viel Kurzes und auch Belangloses steht, schreibt Ulrike Gastmann immer wieder, eigentlich sehr oft, lange und schöne Texte, irgendwelche Gedanken, was sie erlebt, beobachtet oder gefühlt hat.

Auch ganz aktuell, wie diese Woche nach dem Tod der italienischen Schauspielerin Claudia Cardinale.

Gastmann begann so: «Sehr bewunderte und verehrte Signora Cardinale. Gestern sahen wir Sie wieder einmal aussteigen. Diesmal nicht im staubigen Sweetwater, im Italo-Western, sondern bedauerlicherweise aus der Geschichte selbst. Und irgendwie weiss man auch nachrufend wie immer nicht, wovon man bei Ihnen zuerst anfangen soll zu schwärmen, von Ihrer Schönheit, ihrem Stil, Ihrem Blick, Ihrer Stimme …?»

Und der Text endete damit: «Und jetzt, nach 87 Jahren, prall gefüllt mit Leben und Wildheit, ist der Vorhang gefallen. Und das Publikum verneigt sich vor Ihnen in noch immer verzauberter Dankbarkeit. Sie waren ein so unglaubliches Geschoss – mit einem Nachhall, der klingt – wie kann es anders sein? – wie Morricones Mundharmonika. Spiel mir das Lied von der Schönheit. Es wird niemals enden. Grazie per tutto, grande Claudia Cardinale.«

Das ist Ulrike Gastmanns schöne Sprache. Und davon gibt es jetzt 285 Seiten, in ihrem neuen Buch «Lessons for Life. 99 Menschen, die dein Leben besser machen». Es sind 99 kurze Porträts über Leute, berühmte, einige für uns auch unbekannte, aus der Politik, der Kunst, der Literatur, dem Sport, der Musik, vor allem der Musik, auch über einen Papst.

Ich hatte das Buch kürzlich in Küsnacht gekauft, schickte Ulrike Gastmann ein Bild, Buch am Zürichsee (siehe weiter unten), sie war erstaunt, dass ich es schon hatte, denn sie selber hatte noch keines in den Händen. Doch für mich war klar: Ich lese es erst am Ort und in der Stimmung, die dazu passt, am Meer, im Sand, mit dem sanften Rauschen der Wellen, dem salzigen Duft des Inselsommers im Herbst, dem unendlichen Horizont, weit draussen ein Segelschiff, vielleicht mit einem Glas Quibia Anima Negra daneben.

Es war so, der Himmel blau, das Wasser karibisch, das mallorquinische Glas später, ich blätterte durch das Buch, es ist ein Buch, das man auf jeder Seite zu lesen beginnen kann, ich tat es auf Seite 201, dann zur Seite 94, erst sie, dann er, erst Hildegard Knef, dann Adriano Celentano.

Beide schon lange nicht mehr gehört, also Kopfhörer dazu, lesend und hörend, es passte.

«Il ragazzo della Via Gluck», das wunderbare Lied eines jungen Mannes – es ist autobiografisch, Celentano wuchs an der Via Gluck 14 in Mailand auf –, der aus der ländlichen Idylle in die hektische Grossstadt ziehen muss, nach Jahren zurückkehrt, das Paradies in den Kinderjahren gibt es aber nicht mehr, eine Wüste aus Beton statt Wiesen. Und Gastmann schreibt über Celentano: «Auch in seinen Filmen hält Adriano der Welt den Spiegel vor: als italienischer Traum des verwegenen, grinsenden, selbstironischen und physisch präsenten Mannes, der sagt, was er denkt, und lebt, wie er will. Ein Typ, der zeigt, dass Testosteron und Tiefgang durchaus Geschwister sein können.»

Celentano, so schreibt Gastmann am Ende, habe 1987 das italienische Volk aufgerufen, kollektiv fünf Minuten lang den Fernseher auszuschalten – als Zeichen für den Frieden.» 

Wir müssten den Fernseher heute, 2025, tagelang ausschalten.


Und dafür lieber lesen statt sich von schlechten und traurigen Nachrichten berieseln zu lassen. Ich frage Ulrike Gastmann, die vor vielen Jahren auch einmal an einer jüdischen Privatschule in Zürich gearbeitet hat, ob Schreiben ihr Leben schöner mache, sie antwortet, die Frage sei falsch gestellt: «Schreiben ist mein Leben», sagt sie. Und man spürt es, auch in diesem Buch.

Sie, die in Leipzig lebt und Italien liebt, die Menschen dort, sie hätte aufpassen müssen, dass es kein italienisches Buch wird. Es ist nur ein halbes geworden. Und neben Texten auch zu Federer, Hazel Brugger, eben einem Papst (Franziskus, «einer, der glaubt – und liebt. Nicht nur Gott. Auch die Menschen»), Kästner, über eine Striptänzerin, Nick Hornby, Juli Zeh oder Simone de Beauvoir oder Omar Sy, kommen immer auch Menschen der Musik vor: Patti Smith, Loredana Bertè, Sting, Tina Turner, Gianna Nannini, Stromae, Rosenstolz, Elisabeth Leonskaja, Dua Lipa, Damiano David, Hans-Eckardt Wenzel, Jovanotti, Frank Zander, Falco, Udo Jürgens.

Oder eben: Hildegard Knef. Ich habe sie lange nicht mehr gehört, sie wäre in diesem Jahr 100-jährig geworden, jetzt aber, mit Gastmanns Text, will ich am Meer und im Sand und mit den Wellen als Musik ihre starken Lieder hören. Zufällig kommt auf Spotify dieses: «Die Welt ging unter am Zürichsee». Im gleichen Moment schickt mir mein Sohn ein Bild, Zürich, kalt und nass und grau an diesem Mittwoch, Knef singt aber, dass die Welt am Zürichsee bei 30 Grad im Schatten unterging, es ist, wie oft bei ihr, ein Lied über eine verlorene Liebe.

Bei Knef sind aber auch solche Lieder oft nicht nur traurig, sondern verbunden mit vergangenen und glücklichen Gefühlen. Gastmanns Buch soll das Leben besser machen; lasst euch die Kindheit nicht austreiben, so der Titel zum Kapitel über Erich Kästner, es lag ihr am Herzen, dass damit das Buch beginnt. «Das Leben schuldet uns nichts als das Leben. Und alles andere haben wir zu tun.» Sagt Knef.

Also: Lesen. Auch wenn die Wellen dazu nicht rauschen.

Und es gibt noch eine die Seiten 286 und 287: «Schreibe Deine eigene Lektion!», der Mensch 100 kannst du sein. Zwei Seiten sind leer.

«Lessons for Life. 99 Menschen, die dein Leben besser machen.» – Ulrike Gastmann. – Kanonverlag. 


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