Fussball, anders

Blog-Nr. 413


Wenn Mama und Papa und Nonna und Nonno und Bruder und Schwester und Verwandte und Schulschatz und die Lehrerin und der Lehrer am Spielfeldrand stehen und fiebern und klatschen und rufen und feiern, dann ist Schüeli, wie in Küsnacht mit 1200 Kindern in 14 Kategorien.

Wenn ein Mädchen, vielleicht zwölf, nach dem Spiel zusammen mit ihren Kolleginnen strahlend vom Rasen läuft und zum Coach sagt: «Jetzt sind mer die Beschte vo Chüsnacht.» Und der Coach, der ihr Vater ist, sagt: «Das nanig, es isch erscht eis Spiel gsi»

Wenn ein anderes Mädchen, noch sehr klein, das Tor ist viel zu gross für sie, immer wieder den Ball aus dem Netz holen muss, die Arme, weil er einfach nicht zu fangen war – Buben haben geschossen – , und ihre Mitspielerinnen versuchen sie zu trösten, legen den Arm um ihre schmalen Schultern, aber dann gehen sie weg, stecken die Köpfe zusammen und tuscheln miteinander, man hört nicht, was sie sagen, aber man sieht es dann, nach dem nächsten Tor, als die Arme wieder kriechend den Ball aus dem Tor holen muss. Sie gehen zu ihr, sie solle die Handschuhe, die eigentlich viel zu gross sind,  abgeben, und ein anderes Mädchen nimmt sie. Sie muss nun die arme Torhüterin sein.

Wieder ein Tor – und dann ausgewechselt

Wenn die Buben von zwei Mannschaften der 1. Sekundarschule nach dem Spiel einander artig die Hand geben, sich gratulieren, und einer schaut beim anderen nach unten zu den Schuhen, sie glänzen pink und gelb, und er sagt: «So krass, dini Schueh», und er kann sich nicht mehr satt sehen und ist etwas neidisch.

Wenn zwei Mädchen, sie tragen die Nummern 20 und 6, ihre Namen auf dem weissen Shirt, acht- oder neunjährig, sie sind offenbar eingeteilt, die Abwehr zu spielen, und da stehen sie nun, nebeneinander, immer am gleichen Ort, weit vorne stürmen ihre Mitspieler, es sind die Buben ihrer Klasse in der gemischten Mannschaft, und wenn sie vorne ein Tor schiessen, dann jauchzen und hüpfen die zwei hinten, umarmen sich, als hätten sie das Tor geschossen. Und nehmen dann gleich wieder Haltung ein, stehend nebeneinander.

Die Abwehr

Wenn sie zum Penaltyschiessen antreten müssen, weil sie vorher unentschieden gespielt haben und es einen Sieger braucht, und Mama und Papa und Nonna und Nonno und Schwester und Bruder und Verwandte und Schulschätze, Lehrerinnen und Lehrer in diese Ecke des Platzes gehen und dicht gedrängt da- und spalierstehen, und der eigene Enkel sich bereit macht zu einem Penalty und anläuft und man selber nervöser ist als er. Er trifft. Er war im Spiel Torhüter gewesen, was er sonst nicht ist, und hat ein Tor geschossen, dribbelnd von ganz hinten ganz nach vorne.

Wenn Nils, blonde Haare, Nummer 4 am Rücken, in der Mitte des Platzes steht, den Ball zart zwischen den kleinen Füssen eingeklemmt, Nils müsste eigentlich anspielen, weiss aber nicht so recht, wohin mit dem Ball, Nils bleibt lange zwischen den Füsschen, er schaut nach links und rechts.

Anspiel

Wenn einer, er hat eben ein Tor geschossen, ein sehr spektakuläres, muss man sagen, losrennt, auf und davon, quer über den Platz, und man sieht nun, wer sein Vorbild ist, nur der jubelt so, der Siuuu-Jubel vom kleinen Ronaldo auf dem Heslibach in Küsnacht.

Penaltyschiessen

Und wenn abends, nach dem Schüeli, eine Auswahl von Schweizer Alt-Internationalen gegen den lokalen Klub, der eben in die 2. Liga aufgestiegen ist, antritt, es immer noch schwülheiss ist, und der Neffe im Tor steht, er sah Stéphane Chapuisat gar nie selber spielen und wusste nicht, welch grosssartiger Fussballer der einmal war, der beste Schweizer Stürmer je – und jetzt läuft Chapuisat an bei einem Penalty, und der Neffe steht im Tor. Chapuisat trifft. Er ist immer noch clever.

Penalty: Chapuisat gegen den Neffen

Wenn Jörg Stiel, er ist 57, im Tor der Legenden nochmals zeigt, welch starker Torhüter er einmal war, er hechtet auf dem Heslibach ein allerletztes Mal, weil er bald auf eine Weltreise geht, zuerst in die Philippinen und dann weiter, irgendwohin, er weiss nicht, wo er landet und vielleicht für immer bleibt und gar nicht mehr zurückkehrt, er hat hier alles verkauft. Sein Abschied. In der zweiten Halbzeit spielt auch Finn Stiel, sonst beim FCK, bei den Suisse  Legends mit, Onkel und Neffe im gleichen Team.

Jörg Stiel: Mit 57 noch wie einst
Fotos:: Dieter Seeger/fw

Wenn, es ist jetzt Sonntagabend in Bern, Frauen spielen und sehr viele Frauen im Stadion sind und Hunderttausende am Fernsehen zuschauen, auf dem ersten Kanal, wo sonst an diesem Abend der Tatort gezeigt wird, und der Mann am TV-Mikrofon redet vielleicht wieder von der Mittelfeldfrau und vom Frauenfussball, und dabei ist es einfach Fussball, einfach ein anderes Spiel, weil Frauen anders spielen als Männer, es ist auch ein faszinierendes Spiel.

Wenn 14 000 durch die Stadt Bern zum Stadion laufen, so etwas soll es bei einem Spiel der Frauen noch nie gegeben haben.

Wenn Chapuisat und Wälti im Sektor C des Wankdorfstadions nebeneinander sitzen, aber an diesem Abend geht es für beide nur um Lia Wälti, sie ist die Kapitänin der Schweizer Nationalmannschaft.

Nebeneinander

Wenn hinter den beiden ein kleines Mädchen neben ihrem Vater sitzt und immer wieder ein Buch in die Höhe hält, es heisst «Lia am Ball», ist das Fussballmärchen ihres Lebens, geschrieben hat es eben Lia Wälti. Und dann, es ist fast 23 Uhr, jubeln und tanzen sie alle, nach einem etwas komplizierten, zuletzt aber fesselnden Spiel, Lia Wälti mit ihrer Mannschaft auf dem Rasen, das kleine Mädchen mit seinem Buch über Lia und den Ball, Chapuisat und Wälti davor und mit ihnen fast 30 000, ein rotweisses Meer in der inzwischen kühlen und regnerischen Nacht.

Das Buch der Schweizer Kapitänin

Wenn – dann war es ein wunderbares Wochenende, heiss und schwül und die Sonne brannte am Samstag auf dem Heslibach in Küsnacht schonungslos vom Himmel, mit vielen grossartigen Momenten, mit Toren und Jubel, mit armen Torhüterinnen, mit der Mama, die trösten muss und dem Nonno, der so stolz ist; mit einer wunderbaren Ambiance im Wankdorf in Bern, einer nachmitternächtlichen Heimfahrt im Zug und nur friedlichen Menschen, ganz vielen in roten Leibchen. 

Und ohne eine Sekunde am Fernsehen diese Infantino-Selbstbeweihräucherung-Geldgier-Klub-Weltmeisterschaft gesehen zu haben, auch wenn ich damit die finalen Minuten nach der 25-Jahre-Ehe zwischen Bayern München und Thomas Müller, diesem einzigartigen Fussballspieler und Fussballunterhalter, verpasst habe.

Ich wurde beschenkt. 

Rotweisses Meer im Wankdorf in Bern



Eine nächste musikalische  Lesung am 21. August
im Garten  bei «Culture Time» in Winterthur 


Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» 
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