Der Neunte im Achter

Blog-Nr. 411




Fussball. Handball. Eishockey. Tischtennis. Ski alpin. Langlaufen (eine kurze Episode). Segeln (Optimist, eine Kinderklasse zum Einstieg). Tennis. Badminton. Bob (Mitfahrer als Gast). Tischfussball (Sport?). Radfahren (hm, inzwischen elektrisch unterstützt). Schwimmen (Badi). Motorsport (Vespa fahren). Schach (Anfänger). Schiessen (Pflicht, Militär). Leichtathletik (nur in der Schule). Pétanque (Ferien). Golf (einmal, Ball flog nie weg).

Ich habe schon einige Sportarten ausprobiert, einige über längere Zeit, heute sind es nur noch vereinzelte, der Körper setzt Grenzen, bei den meisten bin ich mehr oder weniger talentfrei.

Und jetzt google ich. Was sind die Anforderungen? Was muss ich wissen? Befasse mich mit Begriffen wie Bug und Heck und Steuerbord und Backbord und Steuerleinen. Auch von Kommandos-geben steht geschrieben, die Taktik bestimmen, motivieren.

Hättest Du mal Lust? war die Frage eines Freundes gewesen, bei einem Glas Negroni.

Ich?

Ich sass noch nie im Leben in einem Ruderboot, ausser einem Pedalo (rudern?) oder einer Gondel in Venedig, mal für eine romantische Stunde auf einem Weiher.

Er werde mich anrufen, sagte er, wir prosteten einander zu, in sommerlicher Stimmung wird man locker, und er schrieb mir schon am nächsten Morgen. Er habe in seinem Gruppenchat gefragt und sofort acht gefunden, die gerne kämen, bereits diesen Mittwochmorgen, 6 Uhr. Er freue sich auf mich.

Es gab kein Entrinnen mehr. Ich sollte der Neunte im Achter – der Königsklasse des Rudersports, ein Boot ist 17 m lang – sein, und es kam dieser Mittwochmorgen, Wecker auf 04.45 Uhr gestellt, pünktlich dort, im Clubhaus der Ruderer des Grasshoppers-Club am Mythenquai.

Es war grossartig. Diese Stille, sanft das Wasser, noch ganz zart die Welt, alle schlimmen Nachrichten weit weg, und sie, die acht, die alle eine lange Vergangenheit als Ruderer haben, begrüssen mich, als wäre ich einer von ihnen, vielleicht wissen sie gar nicht, dass ich noch nie in einem Ruderboot gesessen bin.

Mein Platz ist eng

Im Heck ist mein Platz. Es wird mir gezeigt, wie man am besten einsteigt, es ist sehr eng, zehn Kilo mehr dürfte ich wohl nicht haben, unser Boot wird an diesem Wochenende auch an den Schweizer Meisterschaften gebraucht, wir sollten ihm Sorge geben, sagt der Headcoach vom Club, es macht mich noch nervöser. Vor mir, mit dem Gesicht zu mir, sie rudern rückwärts, sitzen sie nun, der Stefan, der einmal, 1992, Weltmeister im Curling war, Hans-Ueli, Philipp, Dieter, Beat, Gian-Reto, Michi, Jürg, 74 ist der Älteste, 57 der Jüngste.

Stefan ist diesmal der Schlagmann, so haben sie es abgemacht, er gibt die Kommandos, was eigentlich, im richtigen, dem Spitzen-Rudersport, der Steuermann tun müsste, also ich.

Diese Stille am frühen Morgen

Er ruft «As Boot» (einsteigen) und «Weg» (locker mit Rudern starten), «Mitenand» (alle gleich im Takt) und später «Drü und Zwänzg» (drei Aufbauschläge, zwanzig harte), und dann rudern sie eine zeitlang schneller, und ihre Gesichtsausdrücke werden gequälter, bei allem Spass. Ich bestaune ihre starken Oberarme, sie sind ja nicht mehr die Jüngsten, sie geben alles. Und das ist recht viel, sie wirken harmonisch. «Finish betone» heisst es auch zwischendurch, am Ende des Durchzugs das Ruder kraftvoll durchziehen und aus dem Wasser hebeln.

Ich, gar nicht schwitzend, aber auch nicht frierend auf meinem engen Platz, schon 20 Grad, obwohl es erst kurz nach sechs am frühen Tag ist, es ist noch stiller, noch zarter, noch sanfter hier draussen auf dem Wasser, die Sonne geht über dem Zürichberg auf. Nur der Ton der acht Ruder, die ins und über das Wasser gleiten, und zwischendurch Stefan, der schreit.

Meine Aufgabe: Rechts und links die Steuerseile in den Händen, schauen, dass der Abstand zum Ufer etwa gleichbleibt, ständiger Blick nach vorne, über die Köpfe der Ruderer hinweg oder seitlich an ihnen vorbei, nicht zu weit hinauslehnen (sonst…, nein, kentern würden sie kaum je, sagt Stefan). Hindernisse hat es keine, selbst die Schwäne schlafen wohl noch, das erste Kursschiff ist weit weg. Nur einmal werde ich gefordert, bei der Wende auf der Höhe Schoggifabrik, da muss ich links fest ziehen – und so rudern sie nachher wieder zurück Richtung Zürich, ich bin einiges entspannter.

Stefan, der Schlagmann, der einmal Curling-Weltmeister war

Und das Schönste kommt noch, das tun sie immer, der Sprung ins Wasser, nachdem das Boot erst geputzt und dann wieder im schönen Haus versorgt ist, in den Kleidern, die man gerade getragen hat.

Der Neuner sei wieder bereit, wenn die Acht einen Neunten brauchen, sage ich ihnen beim morgendlichen Kaffee später.

Hiesse wieder Tagwache 04.45 Uhr. Die Welt ist aber heil, dann. Ich komme sofort. Weiss, was mich erwartet. Ein Vergnügen. 

Aber genügt es, um auf der langen Liste der betriebenen Sportarten zu stehen? Als Steuermann, der nur stillsitzt und nichts sagt?

Zurück ins GC-Clubhaus


Eine nächste musikalische  Lesung am 21. August
im Garten  bei «Culture Time» in Winterthur 


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