Das erste Mal

Blog-Nr. 397


Der Buchtipp - ein Fussballer schreibt einen Roman



Ich war 15 und spielte Handball, eigentlich wäre ich viel lieber im Dorf-Fussballverein gewesen, aber mein Vater verbot es mir, ich war talentiert, aber nur mässig, auch im Fussball hätte ich nie von einer grossen Karriere träumen können. Mit 15 auch der erste Kuss, später bald etwas mehr, aber genau erinnere ich mich nicht mehr, Gaby hiess sie, das weiss ich noch, die erste Liebe. Vielleicht liegt irgendwo im Keller in irgendeinem Mäppchen der erste Brief, vielleicht mit einem Herzchen versehen, hoffentlich. 

Viel mehr weiss ich nicht mehr von dieser Zeit, mit 15.

Manchmal denke ich, warum hast du früher nicht Tagebücher geschrieben? Das wäre doch so interessant, sich nicht nur vage zu erinnern, sondern nachzulesen und genau zu wissen, was du damals gemacht und wie du gefühlt hast, all die Namen, die dann in deinem Leben waren.

Christoph Kramer hat Tagebuch geführt und tut es immer noch. Schon früh hatte er damit begonnen. Und weil er somit noch vieles weiss von damals, schrieb er nun einen Roman, mit 34 über seine Tage mit 15, genau über drei Tage mit 15, im heissen Sommer 2006. 

«Das Leben fing im Sommer an», heisst somit das Buch, schon das Cover ist schön, in hellem Violett gehalten, mit einem gelbrötlichen Kreis, der einen Feuerball oder auch die Sonne symbolisiert, und einem jungen Mann auf einem hohen Sprungturm, er steht ganz zuvorderst auf dem Brett, bereit für den Sprung, den Sprung ins Leben.

Kramer mit 34 blickt auf eine schöne Fussballkarriere zurück, er ist mit Deutschland 2014 Weltmeister geworden, spielte im Final in Rio aber nur eine halbe Stunde, weil er groggy gegangen war; Mönchengladbach, Leverkusen, Bochum, Düsseldorf waren seine Klubs, heute ist er auch ein amüsanter und kluger Experte im ZDF.

Und eben mit 15, da träumt er davon, einmal in grossen Stadien zu spielen, mit seinem Namen hinten auf dem Trikot. In seinem Zimmer hängen Poster von Fussballgrössen damals, er ist ein schüchterner Junge, schmächtig, er hat Pickel im Gesicht und leidet darunter, ein Einzelkind, er ist eben bei den U-15 von Bayer Leverkusen rausgeflogen, zweifelt jetzt, ob das einmal überhaupt etwas werden kann, mit einer Karriere als Fussballer. Er sei zerfressen gewesen von Selbstzweifeln, sagt er in einem Gespräch mit dem «Spiegel».

Es gibt viele Fussballer, die Bücher herausgegeben haben, fast immer haben sie diese nicht selber geschrieben und es sind Biografien; nur Jorge Valdano, der Argentinier, auch Weltmeister, wurde später ein Poet der Sprache, mit seinen gescheiten Büchern und brillanten Kolumnen.

Auch für Kramer war Sprache immer wichtig, um sich auszudrücken, und sein Buch beweist es. Ein schönes Buch über das Erwachsenwerden, eine Coming-of-Age-Geschichte, erzählt aus den Erinnerungen an diese drei Tage in diesem heissen Sommer. Vieles hatte er damals aufgeschrieben, immer nachts, anderes «schlummerte in mir», es ist keine Autobiografie, aber, sagt er, ungefähr 70 Prozent sei autobiografisch, der Protagonist im Roman von Christoph Kramer heisst Chris Kramer.

Christoph Kramer, 2014 Weltmeister mit Deutschland in Rio

Es ist ein Buch, in dem Fussball wichtig ist, es sind die Tage der Fussball-WM in Deutschland, dem Sommermärchen, wie es damals hiess, aber es ist kein Fussballbuch, sondern eines über das, was junge Menschen in diesem Alter als Teenager erleben und tun, über Freundschaften, immer wieder auf dem Dach einer alten Scheune im Bauernhof. 

Er wolle, sagt Kramer, den Zauber des ersten Mals erleben, eben das erste Mal mit Debbie, dem schönsten und attraktivsten Mädchen in seiner Schulklasse, das erste Mal küssen, das erste Mal lieben, das erste Mal enttäuscht sein von der Liebe, die ersten Tränen deswegen. 

Der erste Kuss sei krasser gewesen als sein erstes Tor als Fussballer, «es war Wahnsinn, ich war 15 und hatte das Gefühl, ich bin jetzt erwachsen, jetzt geht das Leben los, jetzt bin ich angekommen», sagt Kramer im «Spiegel».

Die Vorbereitung auf den ersten Kuss beginnt im Buch auf Seite 61. Auf Seite 96 sind Chris und Debbie im Kino. Und im Saal 3 beginnt es. Weil die Ziffern auf seinem Handy in dieser Sekunde von 19:59 auf 20:00 Uhr springen. «Das Leben war eine Aneinanderreihung von Zufällen», schreibt er. Der Kuss, sein erster in seinem jungen Leben, dauerte 43 Minuten, es sei das beste Gefühl je gewesen, und auf Seite 119, als er zu Hause in seinem Bett liegt und die Stille der Nacht einkehrt, er den Duft von Debbie an seinem Shirt riecht, hatte er dieses Bild vor Augen: «Debbie angestrahlt von der Kinoleinwand, als sich meine Lippen ihren näherten. Ich schlief mit einem Gefühl der Liebe ein. Das erste Mal in meinem Leben.»

Mit 15, schreibt Kramer, 34.

Statt in vollen Fussballstadien zu spielen macht Kramer heute Lesungen, die alle immer ausverkauft sind. Es sei so, er habe sich immer in Tabellen messen lassen, sagt er, und er hatte in einer Buchhandlung gefragt, wie viele Bücher er verkaufen müsse, um nach einer Woche auf Platz 1 in der «Spiegel»-Bestenliste zu stehen, 8472 Exemplare – er stand es, inzwischen nach sechs Wochen ist er immer noch auf Platz 7.

Christoph Kramer als ZDF-Experte

Kramer schreibt inzwischen bereits ein zweites Buch, er hat noch ganz viele Tagebücher aufbewahrt, und diese Einträge werden wieder einfliessen, angereichert durch Gedanken in seinem Kopf. Also nicht ein Buch über Christoph Kramer, sondern über Chris Kramer, wieder ein Roman. Und vielleicht wird er diesen Vergleich, der in seinem ersten Buch oft vorkommt, das schöne Gefühl vom  Duft, wenn es nach einem langen und warmen Sommertag zu regnen beginnt, wieder aufnehmen.

In der «SonntagZeitung» schmiedet er grosse Pläne: «Ich will Weltbestsellerator werden.» Sagt es und lacht schallend.

Eine Person, die in seinem Roman vorkommt, hiess übrigens wirklich so, Celina, sie stand in Düsseldorf im Club «Le Soleil» hinter einer Bar, und obwohl Chris noch an Debbie dachte, hatte sie eine magnetische Wirkung auf ihn, sie war, schreibt er,  mehr Frau als Mädchen,  «auf die Kreativität des Lebens» sagten sie sich. Acht Jahre lang hatte er sie nachher nicht mehr gesehen, bis er sie an einem Bankomaten wieder traf. Celina wurde die Frau von Christoph Kramer.

Christoph Kramer. «Ein Leben im Sommer». - Roman. - Kiepenheuer & Witsch. - 256 Seiten.



Eine nächste musikalische  Lesung 21. August
im Garten  bei «Culture Time» in Winterthur 


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