Zweier und Vierer
Blog-Nr.390
Eine kurze Geschichte mit Buchtipp
Am Nebentisch sind drei gegangen. Dunkle Anzüge haben sie getragen, Krawatte keiner, aber zwei weisse Sneakers, und einer hatte seinen Laptop vor sich, hatte ihn aufgeklappt, und sie haben zwischendurch alle draufgeschaut, irgendwelche Kalkulationen, es komme gut, sagte einer. Sie bestellten drei Negronis, zum frühen Apéro, sagte einer, wir müssen es feiern, ein anderer, es war halb zwei, fahler Frühlingssonnenschein hinter der Fensterscheibe.
An einem anderen Tisch liest einer ein Buch, «Für Polina» steht auf dem Cover, von Takis Würger, und beim Googlen erfährt man darüber, Martin Suter habe vielleicht zum ersten Mal im Leben beim Lesen Tränen gehabt und er schwöre, keine einzige sei eine traurige gewesen; es ist eine Liebesgeschichte, es geht um eine Melodie, diese eine Melodie, und das Wort «Klavier» findet sich im Buch auf jeder zweiten Seite, man wird zu einem Klavierspezialisten.
Und draussen fährt wieder ein Tram vorbei. Jetzt der Zweier, bald muss der Vierer kommen. Meistens auf die Minute genau.
Eine Zeitung liegt auf einem Tisch, jemand hat sie durchgeblättert, die Seite «Feuilleton» jetzt zuoberst, «Habermas hat sich geirrt – ein bisschen» ist der Titel. Jürgen Habermas, der 95-jährige deutsche Philosoph, sieht heute keine Alternative zur Aufrüstung der europäischen Länder.
Waffen für Frieden? kommt in den Kopf. Ein verwirrender Gedanke.
Jetzt ist es still im Bistro. Alle sind gegangen. Es ist Nachmittag. Draussen wieder der Zweier. Oder der Vierer. Ständig kommt einer.
Die Welt ist friedlich, hier. Eigentlich wäre schön, jemand würde jetzt Klavier spielen. Der Autor von «Für Polina» beschreibt die zerstörerische Kraft der Liebe und den heilenden Klang der Klaviermusik, auch das erfährt man, wenn man googelt, hart an der Kitschgrenze, schreibt ein Rezensent, aber zuletzt mit viel Herz. Im «Spiegel» stand das Buch gleich nach dem Erscheinen auf Platz 1.
Zwei der vielen schönen Sätze stehen auf Seite 270: «Hannes, dieser grosser Musiker und kleine Denker, verstand endlich, dass genau darin die Schönheit der Musik liegt. Nicht nur in den Noten, die zu Schallwellen werden, sondern auch im Nachhall im Innern, der bei jedem anders ausklingen darf.»
Ich habe das Buch inzwischen gekauft.
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Takes Würger. «Für Polina» - Diogenes-Verlag. - 304 Seiten. - 35 Franken. |
Eine nächste musikalische Lesung 21. August
im Garten bei «Culture Time» in Winterthur
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