Entzug

Blog-Nr. 389

Kolumne Espresso mit Bruno und Luca*




Luca, der Architekt, ist verspätet, das ist sonst nicht seine Art, schon von  berufswegen muss er exakt sein. Bruno, der Werber, sitzt im Bistro im Seefeld bereits am runden Tisch, vor sich, das ist auch nicht seine Art, keine einzige Zeitung, nur ein Espresso, wie immer, wenn sich die beiden Freunde treffen.

Bruno ist einer, der, kaum ist er in einer fremden Stadt angekommen, gleich den nächsten Kiosk sucht und Zeitungen kauft, manchmal auch in einer Sprache, die er gar nicht versteht oder nur mangelhaft.

Aber jetzt sitzt er da, liest nichts, sein Blick ist nicht traurig, aber doch nachdenklich, irgendwie abwesend, er blickt irgendwohin, sieht dann aber Luca. «Hallo», sagt er, «schön, dass du doch noch gekommen bist.»

Sie schmunzeln, aber natürlich nimmt es Luca wunder, warum sein Freund zeitungslos einfach hier sitzt.

Bruno sagt, er sei auf Entzug. Entzug von dieser Welt mit diesen täglich schrecklichen Nachrichten, diesem Kriegstreiber hier und dem Dealmaker dort und den Telefonaten zwischen den beiden und was dann der eine sagt und der andere meint und die übrige Welt interpretiert und morgen schon wieder ganz anders sieht, weil jetzt der eine es doch nicht so meint und der andere sagt, es sei doch gut, dass sie miteinander reden. Aber ändern tut sich doch nichts.

Er möge nicht mehr, und natürlich sei es einfach, das hier zu sagen, in unserer heilen Welt, geschützt und beschützt fast wie in einem Bunker, einem paradiesischen Bunker mit blühenden Gärten und sonnenbeleuchteten Alpen und glitzernden Seen, aber es sei einfach schrecklich immer daran erinnert zu werden, wie sie die Welt, unsere Welt, zerstören, diese beiden hier und dort und andere auch, und wir nur noch von aufrüsten reden, von Waffen und Panzern und Kampfflugzeugen, die wir alle mehr haben müssen, dringend und möglichst schnell.

Luca hört zu, nickt, ja, ja, sagt er, schlimm sei es, vielleicht gar besser, sich nicht mehr zu informieren, auch im Kulturteil seiner Zeitung, es steht wenigstens noch gross «Kultur» oben auf dem Zeitungskopf, lese er nur, wie die Administration des einen der beiden mit dem Feuer spiele. 

Früher seien in der Zeitung, besonders in seiner, unter «Kultur» noch Kritiken gestanden, über Konzerte, Filme, Bücher oder Theater, man habe erfahren, was in der Stadt läuft, irgendwo, auch auf kleinen Bühnen, gezeigt oder gespielt werde. Lokale Feuerwerke.

Aber dann sieht er doch, wie Bruno zu seinem Handy greift. Also doch, denkt er, sieht, wie sein Freund mit den Fingern dreimal tippt, blind offenbar, er schaut nicht auf das Display; hm, denkt er, schaut ihn fragend an.


301 im Teletext: Eishockey

Bruno sagt 301.

301? fragt Luca.

301, ja, das sei seine Tür zur Welt. 301 auf Teletext, da stehe, wie Chlote gestern Abend gespielt habe. 301 ist Eishockey, 202 wäre Schweizer Fussball, 231 Bundesliga, 351 Ski. Und? fragt Bruno, willst du wissen, weshalb ich die drei Zahlen drücke, nachdem ich «Teletext» gewählt habe, ohne dann drauf zu schauen?

Er gibt die Antwort gleich selber. Wenn ich nach dem Drücken auf das App schauen würde, käme zuerst die Schlagzeilen-Seite und dann würde ich sehen, dass der eine wieder mit dem anderen telefoniert hat und betonen würden, wie gut sie sich verstehen und doch nichts besser ist. 

Deshalb drücke ich blind 301. Oder 202. Oder 231. Oder 351. Dann weiss ich, was kommt. Mehr will ich nicht mehr wissen.


*Die Kolumne «Espresso» erschien zwischen 2014 und 2016 wöchentlich im Tages-Anzeiger. Sie lebt jetzt manchmal in diesem Blog weiter.


Eine nächste Lesung 21. August
 bei «Culture Time» in Winterthur 



Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» 
 auf Facebook folgen und lesen. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kuno Lauener und der Fotograf

Besuch bei Mamma

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Chaos bei GC

Das Flick-Werk

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!