Diva im Rigiblick

Blog-Nr. 380 

Zum Tode von Marianne Faithfull (2)

Nochmals ein Text zur verstorbenen Marianne Faithfull. Über einen Auftritt in Zürich, nicht als Sängerin. Sie rezitierte an zwei Abenden im Theater Rigiblick die Sonnette von William Shakespeare. 2012 war es, Daniel Rohr und Brigitta Stahel, das Leitungsteam des Theaters, warteten damals im Hauptbahnhof auf sie . Und die Geschichte mit dem Honig in der Künstlergarderobe.





Es war ein kalter Februarmorgen im Jahr 2012. Daniel Rohr, der Direktor des Theater Rigiblick, und seine Stellvertreterin Brigitta Stahel standen an einem Geleise im HB Zürich und warteten auf einen Zug aus Paris.

Viele Leute kamen, sie aber war nirgends zu sehen, und die beiden dachten bereits: Oh, weh, war sie nicht auf dem Zug?

Aber dann stand plötzlich eine unscheinbare, ungeschminkte Frau vor ihnen, die mit ihrer unvergleichlich tiefen und brüchtigen Stimme sagte: «Here, i am.»

Es war Marianne Faithfull, 65 damals. Sie konnte also unerkannt in einem internationalen Zug reisen, ohne erkannt zu werden.

Marianne Faithfull, die britische Sängerin mit dem wilden Leben und den vielen Abstürzen, mehrmals nahe dem Tod, mit Mick Jagger einmal das Traumpaar der späten Sixties, war ein Jahr zuvor auf einer langen Tournee durch Europa gewesen. Die vielen Konzerte hätten sie beglückt, aber auch erschöpft, sie müsse auf ihre Gesundheit achten, die wegen Drogen, Alkohol und einigen schweren Krankheiten immer wieder angeschlagen war.

Nun würde sie also heute Abend im Theater Rigiblick auftreten mit einer Lesung von Williams Shakespeare Sonnetten. Für das kleine Theater eine Sensation.

Die beiden vom Rigiblick hatten zuvor auf ihren Wunsch bereits einen Termin beim besten Coiffeur in der Stadt reservieren lassen. Brigitta Stahel erinnert sich: «Der Coiffeur machte in einer Stunde aus der unscheinbaren Frau wieder Marianne Faithfull, wie man sie kennt. Grossartig sah sie aus, mit einer unheimlichen Haltung ging sie auf die Bühne, glänzte.»

Brigitta Stahel war damals in der Garderobe des Theaters erschienen. «Sit down, Darling» sagte Faithfull und bat: «Please, get me some honey». Stahel holte im Restaurant nebenan Honig, nur in einer kleinen Schale, und als sie wieder in der Garderobe stand, sagte Faithfull: «Oh, Darling, much more, please.»

Sie bedankte sich herzlich, als Brigitta wieder zurückkam, nahm ganz, ganz wenig Honig, rührte mit einem kleinen Löffel, trank einen Schluck, einen nur kleinen. Einen zweiten würde sie nicht mehr nehmen. Das Glas stand am nächsten Morgen noch so da und auch der ganze Honig.

«So war sie eben, eine Diva, aber sie war grossartig, eine faszinierende Frau», sagt Brigitta Stahel.

Faithfull bei ihrem letzten Konzert, 2016 in Paris

Und das Publikum im Rigiblick war hingerissen wie Faithfull die Sonnette von Shakespeare rezitierte. Sie sei damit seit ihrer Jugend vertraut und habe jedes Wort von Shakespeare wie im Traum und Rausch aufgesogen. In einem Gespräch mit der «NZZ am Sonntag» sagte sie damals: «Das ganze Leben ist in diesem Werk aufgehoben und gespiegelt. Nichts Menschliches ist Shakespeare fremd. Alles, was je geschehen ist oder geschehen wird, kann man bei ihm finden, jede Leidenschaft, jedes Problem, Liebe, Sehnsucht, Eifersucht, Alter und Einsamkeit, Zärtlichkeit und Gewalt, Angst und Hoffnung. Wenn es einen Autor gibt, der einen durch das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen begleiten kann, dann ist es er.»

Ein Leben mit allen Höhen, den höchsten, und den Tiefen, den tiefsten – so war auch das Leben von Marianne Faithfull, die an diesem Donnerstag mit 78 gestorben ist.

Brigitta Stahel hat auch noch eine lustige persönliche Erinnerung: Wie sie im Hotel in Zürich stand und den Koffer von Faithfull abgeben wollte. Sie stand im Foyer, sie hatte damals selber lange blonde Haare wie sie auch Faithfull trug, da hörte sie eine Stimme hinter sich: «Oh, Misses Faithfull, I am so happy to welcome you here ...“ Es war der Hoteldirektor. Brigitta Stahel drehte sich um und dachte, der Irrtum würde gleich aufgelöst. Aber der Hoteldirektor begrüsste sie weiterhin in englisch... bis sie auf Schweizerdeutsch sagt. Oh, nein ich bin nicht die Künstlerin.

«Going Home» von Leonard Cohen in der Version von Marianne Faithfull (Youtube)

Als Erinnerung noch ein Song von Marianne Faithfull, sie singt weniger, sie rezitiert mehr, wie damals im Rigiblick. Er ist von Leonard Cohen, dem Dichtersänger der grossen Traurigkeit, auf seinem letzten Album, «Going Home» heisst er, ein Selbstgespräch, er lege seinen Anzug ab. Und es tönt wunderbar, wenn Faithfull singt, zuletzt begleitet von einem Männerchor, fast neckisch: «Ich rede gern mit Leonard/Er ist ein Sportsmann und ein Hirte/Und ein fauler Sack, der in einem Anzug lebt.»

Im Theater Rigiblick gibt es immer wieder Tribute-Abende für Leonard Cohen. Es müsste irgendeinmal einen für Marianne Faithfull geben.

Daniel Rohr und Brigitta Stahel hätten einiges zu erzählen.




So erinnert sich Mick Jagger an sie




Vorschau 2025


Am Sonntag, 2. März, 11 Uhr die nächste musikalische Lesung:
Nochmals in der Immobilenwerkstatt in Küsnacht,
 mit Fredy WettsteinFriederike Hempel
 und Lukas Langenegger 
und einem neuen Programm.
 Und Bilder von Lizzy Niebergall

Anmeldungen: fredy.wettstein@gmail.com
Oder: WhatsApp 079 414 40 63



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