Verliebt

Blog-Nr: 347




Es gibt solche Phasen in einem längeren Leben, und es hat nichts damit zu tun, dass eine Liebe oder Freundschaft zerbrochen ist und man sich nichts mehr zu sagen hat, froh ist, dass man sich nicht mehr zufällig irgendwo begegnet.

Freundschaften, weniger Liebe, haben manchmal eine Pause, nicht gewollt und schon gar nicht abgemacht, aber bei ihm (oder ihr) hatte es plötzlich andere Prioritäten gegeben, vorübergehend, beruflich, privat, warum auch immer.

So war es auch bei Bruno, dem Werber, und Luca, dem Architekten, den beiden Freunden, die sich jahrelang fast jede Woche am Montagmorgen im Bistro im Seefeld zu ihrem Espresso – oft waren es auch mehrere, und es gab noch, zwar eher selten und dann blieben sie bis fast Mittag, etwas anderes in einem kleinen Glas dazu – getroffen haben, um über die Welt, die grosse, also grundsätzlich, und weniger, wie bei Männern meist, über die kleine Welt, also die eigene und damit Gefühle zu reden.

Doch jetzt sitzen sie wieder da. Die Begrüssung war herzlich gewesen, fast unüblich herzlich unter Männern, einige, die immer hier sitzen, schauten etwas verblüfft oder verlegen von ihren Tischen hoch. Und noch ehe sich die beiden setzen und bei Jasmin, der Kellnerin, ihren Espresso bestellen können, beginnt Bruno zu erzählen.

Es sei eine etwas schwierige Zeit bei ihm. Beruflich? fragt Luca sogleich; nein, nein, fährt Bruno fort, weisst du, es passiert ja vielen in unserem Alter, es habe sich abgezeichnet, seit längerem schon, jetzt halt bei ihm und uns, ganz langsam, schleichend …

Bruno redet und merkt plötzlich, dass Luca gar nicht mehr konzentriert zuhört, er hat den Tagi vor sich, schaut sich aufmerksam ein Bild an.

Doch, doch, Bruno, ich habe alles mitbekommen, sagt Luca, legt die Zeitung kurz weg, ihr beide scheint Schwierigkeiten zu haben, das geht schon wieder vorbei, alles wird wieder gut, glaub es mir, solche Momente gibt es in einem Leben, aber du musst mal schauen, und er greift wieder zur Zeitung – da, schau mal.

Und Luca beginnt sogleich zu erzählen, macht es fast schwärmerisch, du dieses Spiel, 3 gegen 3 im Basketball, auf nur einen Korb, das Spielfeld ist ganz klein, ich wusste nicht, dass es so etwas gibt und olympisch ist. Es ist ein Spiel wie am Flipperkasten, hin und her, man kann kaum folgen, Korb an Korb, Dunks, Dribblings, alles innert Sekunden. Und das auf dem Place de la Concorde. Grossartig. Wie so vieles bei diesen wunderbaren Spielen in Paris, der Stadt der Liebe.

Aber, versucht Bruno wieder zu seinem Thema zurückzukommen, er schaut im Bistro melancholisch durch das Fenster nach draussen, der Zweier fährt eben vorbei …

Luca lässt ihn nicht weiterreden, schwärmt von diesem Final, Frankreich gegen Holland, Dramatik pur sei es gewesen, ein wahnsinniges Spiel, er hätte zeitweise gar nicht mehr gewusst, wer nun führt, diese mit einem Korb vorne, gleich wieder die anderen, er habe sich verliebt …

… eben, das Stichwort hilft ihm, Bruno versucht wieder zu seinem Thema zu kommen, er schaut zu Luca, das sei ihm passiert, nie hätte er gedacht, dass das möglich sei, bei ihm doch nicht, und nun …

Luca, er hört jetzt wirklich kaum mehr zu, schiebt seinem Freund nochmals die Zeitung rüber, sagt, schau dir das an, diese Dynamik, diese Eleganz, dieser Holländer, de Jong heisse er, wie der hochspringt, seine Hand berührt den Korb, so riesig ist der ...

Bruno! 

Luca nennt jetzt den Namen seines Freundes sehr laut, die am Nebentisch sind beinahe erschrocken, ich rufe nun Jasmin und zahle, wir können nächste Woche wieder unseren Espresso trinken und uns dann vielleicht austauschen.

So ist es, wenn Männer miteinander reden wollen, über Gefühle oder so, ganz persönlich. Und anderes doch wichtiger ist, die grosse Welt, wie kürzlich die olympische.


Die Kolumne «Espresso» erschien zwischen 2014 und 2016 wöchentlich im Tages-Anzeiger. Sie lebt jetzt manchmal in diesem Blog weiter.


Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» 


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kuno Lauener und der Fotograf

Besuch bei Mamma

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Das Flick-Werk

Chaos bei GC

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!