«Muuuri, Muuuri!»

Blog-Nr. 340


Euro2024 (5)



Es war Ende Februar, ein Tag, als es kein Winter war, wie auch jetzt der Sommer mehr ein nasser Frühling ist, es war im Ristorante Totò im Zürcher Seefeld. Murat Yakin kommt manchmal hierher, an diesem Morgen sass er in einer Ecke mit einem Freund, und sie besprachen etwas.

Etwas weiter weg im Lokal, am Tisch, an dem immer die älteren Männer ihren Espresso oder Latte Macchiato trinken, sprachen sie etwas leiser. Dort drüben, das sei doch, sagte einer, der Yakin, und die anderen drehten möglichst unauffällig ihre Köpfe, und alle nickten. Komme das gut mit ihm, fragte einer noch vorsichtig, die anderen waren nur einer Meinung: Mit ihm sicher nicht, er hätte ausgetauscht werden müssen, er sei der Falsche. Jetzt sind alle der gleichen Ansicht, und sie machten gleich Vorschläge, Favre vielleicht, oder Fischer, oder einfach ein anderer wäre besser gewesen, jeder andere sagte einer.

Yakin blieb noch einige Zeit im Totò am runden Tisch in der Ecke, mit dem Bild von Sophia Loren über ihm an der Wand, wir sprachen dann später miteinander, und Yakin war Yakin, wie immer: Freundlich, lachend, sehr nett, charmant – und vor allem zuversichtlich. Er freue sich enorm auf dieses Turnier, das werde wunderbar, und er habe ein sehr gutes Gefühl.

Aber ob es nicht falsch sei, sich so früh auf Yann Sommer als seinen Torhüter festzulegen, war meine Frage, schon einige Zeit zuvor hatte er dies öffentlich gesagt.

Yakin schmunzelte. Warum nicht? Er habe sich so entschieden, er sei überzeugt, dass dies richtig sei, und weshalb sollte er nicht auch öffentlich sagen, Sommer sei seine Nummer 1. Es sei nur korrekt, das auch zu tun.

Und auf die Zusammenarbeit mit Giorgio (Contini, sein neuer Assistent, wenige Tage zuvor war es bekannt geworden) freue er sich, das passe.

Dann musste er gehen. Und die älteren Männer an ihrem Tisch drehten nochmals ihre Köpfe, sagten nichts mehr. Ihr Urteil stand fest.

Jetzt ist Samstagabend in Düsseldorf, im Rheinstadion. «Muuuurat Yakin!» schreien Tausende in der Südkurve, ein grosses Meer in Rot ist es, und wie bei jedem Spiel an dieser Europameisterschaft ist Yakin auch diesmal vor dem Anpfiff wieder auf seiner Begrüssungstour, spaziert um das halbe Stadion, winkt und lächelt und strahlt vom Rasen, und die vielen tausend Schweizer Fans auf der Tribüne jubeln ihm zu, wie sie es einst bei «Köbi», dem Jakob Kuhn, getan haben, den sie auch herzlich verehrten.

Fast vier Stunden später, das Stadion ist jetzt fast leer, läuft Yakin nochmals über den Rasen, zum Interview mit dem Schweizer Fernsehen, einige Fans sind noch geblieben, und als sie ihn sehen, schreien sie «Muuuri, Muuuri!», er lächelt auch jetzt, nicht mehr strahlend wie vor dem Spiel, aber Yakin bleibt in jeder Situation Yakin, ist freundlich zu jenen, die ihn bitten, er möge doch ein Foto mit ihnen machen, mehrmals bleibt er stehen, geduldig, spricht mit ihnen, obwohl er in diesem Augenblick lieber schweigen und wohl irgendwo anders sein möchte. «Schade» sagen die Fans, «schade» sagt er.

So nahe dran am grossen Coup, so wenig hat gefehlt, und Murat Yakin, den sie vor wenigen Monaten noch weghaben wollten, wäre ein «Muri national» geworden, erfolgreicher als jeder andere Nationalcoach in der Schweizer Fussballgeschichte.

Als er mit den Fernseh-Leuten redete, hob ein weiteres Flugzeug über dem Stadiondach ab in den Himmel, gestartet vom nahen Airport, und irgendwie war es sinnbildlich, sie sind steil aufgestiegen, die Schweizer Fussballer an dieser Euro, aber die Träume, die sie hatten, verschwanden in den Wolken über Düsseldorf.

Auch im Totò werden sie aber nach diesen deutschen Tagen ganz anders über Murat Yakin reden.


Die Bilder zu einem Abend:


Das rote Meer in Düsseldorf

Murat Yakin, konzentriert beobachtend

Der Jubel beim 1:0

Xherdan Shaqiri beim Eckball, der fast zum 2:1 führte

Das Glücksspiel mit den Elfmetern

Das traurige Abschiednehmen


Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» 

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