Die Spickflasche
Blog-Nr. 341
Sie denken, die beiden. Halb neun Uhr ist vorbei an diesem Samstagabend im Rheinstadion in Düsseldorf, vor zweieinhalb Stunden hatte das Spiel begonnen, England gegen die Schweiz, EM-Viertelfinal, 1:1 steht es.
Und jetzt die Elfmeter, diese Lotterie, dieses Psychospiel. Hier Jordan Pickford, der Torhüter der englischen Nationalmannschaft, dort Manuel Akanji, Verteidiger, vielleicht der beste an dieser Europameisterschaft, die Ruhe in Person, selbst in den stressigsten Situationen.
Der erste Elfmeter. Der Song «Under Pressure» von Queen ertönte eben über die Stadion-Lautsprecher, unter Druck.
Und: Sie denken. Auch was der andere denkt.
Das übliche Spiel bei diesem Spiel der Nerven. Pickford nähert sich Akanji, hüpft, lächelt, versucht zu nerven. Ein Sportpsychologe sagte einmal, man solle in einem solchen Moment tief ausatmen, das verlangsamt den Herzschlag und beruhigt, oder die linke Hand zu einer Faust ballen, das helfe auch. Der Psychologe sagt aber auch, Elfmeterschiessen sei immer auch Zufall. Dafür braucht es keine Psycholgie.
Rechts, links, vielleicht weder noch, sondern Mitte, hoch, tief?
Sie denken.
Euro2024 (6)
Ich denke, er denkt. Und er denkt, ich denke auch. Und wenn er anders denkt, als ich denke? Ich denke, ich muss denken, wie ich denke.
Sie denken, die beiden. Halb neun Uhr ist vorbei an diesem Samstagabend im Rheinstadion in Düsseldorf, vor zweieinhalb Stunden hatte das Spiel begonnen, England gegen die Schweiz, EM-Viertelfinal, 1:1 steht es.
Und jetzt die Elfmeter, diese Lotterie, dieses Psychospiel. Hier Jordan Pickford, der Torhüter der englischen Nationalmannschaft, dort Manuel Akanji, Verteidiger, vielleicht der beste an dieser Europameisterschaft, die Ruhe in Person, selbst in den stressigsten Situationen.
Der erste Elfmeter. Der Song «Under Pressure» von Queen ertönte eben über die Stadion-Lautsprecher, unter Druck.
Und: Sie denken. Auch was der andere denkt.
Das übliche Spiel bei diesem Spiel der Nerven. Pickford nähert sich Akanji, hüpft, lächelt, versucht zu nerven. Ein Sportpsychologe sagte einmal, man solle in einem solchen Moment tief ausatmen, das verlangsamt den Herzschlag und beruhigt, oder die linke Hand zu einer Faust ballen, das helfe auch. Der Psychologe sagt aber auch, Elfmeterschiessen sei immer auch Zufall. Dafür braucht es keine Psycholgie.
Rechts, links, vielleicht weder noch, sondern Mitte, hoch, tief?
Sie denken.
Dabei hätte Akanji vielleicht gescheiter gefragt: Darf ich rasch aus deiner Plastikflasche trinken? Er habe einen trockenen Mund. Die beiden kennen sich ja gut aus der englischen Liga.
Pickford hätte es nie zugelassen. Denn auf seiner blauen Flasche stehen wertvolle Informationen. Gross geschrieben in weiss steht: «Switzerland Penalty Taker List», dann sind ausser dreien alle Namen drauf. Auch jener von Akanji. Und dort: «Dive left.»
Informationen auf der Trinkflasche |
Tauche links.
Hätte Akanji denken sollen, er denkt, ich schiesse meine Elfmeter meistens in die, vom Torhüter ausgesehen, linke Ecke?
Dachte Pickford nicht, weil er es ja wusste, es zumindest ahnte. Er hatte es gelesen auf seinem Spickzettel, der eine Flasche war.
Akanji, der Mann, der spielt und verteidigt wie ein Buddhist, schiesst – rechts, tief, für den Torhüter links.
Pickford wirft sich nach – links.
Er hält den ersten Elfmeter. Es ist bereits die Entscheidung. Alle anderen treffen nachher. Akanji greift sich an den Kopf, blickt ins Leere, muss getröstet werden, macht sich viele Gedanken, sagt, er habe die Mannschaft im Stich gelassen, fühle sich schuldig.
Hätte Akanji denken sollen, er denkt, ich schiesse meine Elfmeter meistens in die, vom Torhüter ausgesehen, linke Ecke?
Dachte Pickford nicht, weil er es ja wusste, es zumindest ahnte. Er hatte es gelesen auf seinem Spickzettel, der eine Flasche war.
Akanji, der Mann, der spielt und verteidigt wie ein Buddhist, schiesst – rechts, tief, für den Torhüter links.
Pickford wirft sich nach – links.
Er hält den ersten Elfmeter. Es ist bereits die Entscheidung. Alle anderen treffen nachher. Akanji greift sich an den Kopf, blickt ins Leere, muss getröstet werden, macht sich viele Gedanken, sagt, er habe die Mannschaft im Stich gelassen, fühle sich schuldig.
Hätte ich doch anders gedacht. Oder gedacht, ich ahne, was er denkt.
Steht diese Trinkflasche von Düsseldorf einmal im British Museum in London?
Steht diese Trinkflasche von Düsseldorf einmal im British Museum in London?
Wie der berühmte Spickzettel von Jens Lehmann, dem Torhüter der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2006, heute im «Haus der Geschichte» in Bonn zu besichtigen ist. Obwohl man auf diesem Zettel kaum mehr etwas lesen kann. Lehmanns Torhüter-Trainer Köpke hatte damals eiligst am Nachmittag vor dem Spiel gegen Argentinien einen Notizblock des Berliner Schlosshotel Grunewald genommen.
Andy (Vorname von Köpke), warum schreibst du mit Bleistift? dachte Lehmann, als er den Zettel damals beim Elfmeterschiessen erneut aus seinen Stutzen klaubte und lesen wollte, aber nichts lesen konnte, weil der Schweiss die Buchstaben verblasst hatte. Und den Namen des letzten argentinischen Spielers, Cambiasso, suchte Lehman auf dem Zettel vergeblich.
Trotzdem hielt er den Elfmeter. Der gelbe Zettel wurde dann an einer TV-Sendung für eine Million Euro versteigert.
Andy (Vorname von Köpke), warum schreibst du mit Bleistift? dachte Lehmann, als er den Zettel damals beim Elfmeterschiessen erneut aus seinen Stutzen klaubte und lesen wollte, aber nichts lesen konnte, weil der Schweiss die Buchstaben verblasst hatte. Und den Namen des letzten argentinischen Spielers, Cambiasso, suchte Lehman auf dem Zettel vergeblich.
Trotzdem hielt er den Elfmeter. Der gelbe Zettel wurde dann an einer TV-Sendung für eine Million Euro versteigert.
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