Schicksal
Blog-Nr. 332
Bruce statt Bayern. Dabei war es plötzlich so offen: Doch Bayern und nicht Bruce? London statt Mailand? Wembley statt San Siro?
Bruce war geplant. Schon lange. Ein Geschenk an meinen Sohn, der ihn wie ich so gerne hört und erlebt, wir haben ihn zusammen vor einem Jahr in Rom gesehen, im Circus Maximus, und jetzt also in Mailand, im riesigen Stadion.
Aber der Sohn fiebert auch mit den Roten in München, bei denen momentan so vieles trüb-schwarz ist. Und vielleicht, an jenem Abend damals in Madrid im Bernabéu, wenn sie gewonnen hätten gegen Real, und sie sahen ja bis fast zur letzten Minute wie der Sieger aus, führten in der 88. Minute 1:0 …
… dann wäre es schwierig geworden.
Bruce und Bayern, gleichzeitig, der eine in Mailand, die anderen in London, beim Final der Champions League, und vielleicht wäre dann alles doch ganz anders gekommen in diesem chaotischen Münchner Klub, wäre Trainer Tuchel, den sie schon vom Hof gejagt hatten, geblieben, und er würde umjubelt, sie hätten ihn auf den Knien gebeten, dass er bitte, bitte bleiben soll, und sie hätten ihm alle Wünsche erfüllt.
Fussball, den manche wissenschaftlich sehen wollen, mit Expected Goals, der Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuss zu einem Tor führt, ich finde das lächerlich, Schüsse, ein paar Zentimeter mehr links als rechts, eine Grasnarbe, die vielleicht einen Millimeter zu hoch geschnitten war, werden immer auch Zufall sein, wie manches im Leben, wie auch Woody Allen in seinem neuesten und vielleicht letzten Film so schön zeigt, «Coup der Chance», ein Glücksfall, und der Frage: Ist etwas Zufall, Schicksal, göttliche Fügung oder einfach Glück?
Also Schicksal: Bruce und nicht Bayern. Zum Glück (Dimitri, sorry!). Und Zufall, wegen ein paar Zentimetern in einem Spiel.
Schönes Schicksal.
Bruce im San Siro, wo sie bis vor kurzem beim meisterlichen Inter noch dem Schweizer im Tor zujubelten, in diesem veralteten, aber immer noch beeindruckenden Stadionkessel, weit oben sitzend – nein: wir werden ständig nur stehen und hüpfen an diesem Samstagabend, es soll wenigstens hier ein Hauch von Sommer sein im Stadion von Sommer, und London und die Gedanken an den Final in London weit weg, höchstens etwas Wehmut, wegen Ancelotti und Real und dem letzten Auftritt von Kroos und vielleicht auch für den immer so melancholisch dreinblickenden Modric.
Bruce lässt alles andere unwichtig sein.
Keine Bayern, kein Boss an diesem 1. Juni.
Trauriges Schicksal also.
Dachten wir. Bis diese Nachricht kam. Bruce Springsteen konnte nicht in Marseille auftreten, wo er bereits fast auf der Bühne stand, und er konnte es auch in Prag nicht und wird es auch in Mailand nicht können, zwei Konzerte hätten er und seine E-Street-Band hier gegeben. Er ist ohne Stimme, kann momentan nicht singen und auftreten, vielleicht, heisst es, habe er sich kürzlich in Sunderland, wo es nass und kalt war, bei seinem wie stets Drei-Stunden-pausenlos-Auftritt erkältet.
Keine Bayern, kein Boss an diesem 1. Juni.
Trauriges Schicksal also.
Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge»
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