Die Rache
Blog-Nr. 325
Der ältere Italiener deutet mit sehr ernster Miene zum Vorderrad meines weissen Fiat 500, der, dachte ich, brav und vor allem korrekt im Parkfeld neben einer Bar in Castellina di Chianti in der romantischen Toskana stand.
Es ist doch etwa nicht ein Kontrolleur wie im Zürcher Seefeld, der mit Sperberblick darauf achtet, ob vielleicht ein Rad verbotenerweise einige Zentimeter neben der Linie steht? Der Italiener in Castellina zeigt nochmals mit dem Finger zum Boden. Ich steige aus.
Hm, er lächelt jetzt. Ich weniger. Denn: Der linke Vorderreifen ist platt, richtig platt.
Und jetzt wieder im Kopf. Die Nacht zuvor, die Heimfahrt vom Dorf zur Unterkunft, es war dunkel, sehr dunkel, die schmale Strasse führte durch den Wald – und plötzlich, ein Knall, sehr laut, er blieb im Ohr, noch lange – er muss von links aus dem Gebüsch gekommen sein, ich sah es nicht, hörte nur diesen schlimmen Knall.
Ein Stachelschwein war es, es tat so weh. Das arme Tier.
Und am anderen Tag kam seine Rache. Am Pneu, diesem Bösen, der ihn
Der Stachel sass tief. Nicht sogleich. Aber davon erst später. Er machte sich erst mit Verzögerung bemerkbar, am anderen Morgen.
Der ältere Italiener deutet mit sehr ernster Miene zum Vorderrad meines weissen Fiat 500, der, dachte ich, brav und vor allem korrekt im Parkfeld neben einer Bar in Castellina di Chianti in der romantischen Toskana stand.
Es ist doch etwa nicht ein Kontrolleur wie im Zürcher Seefeld, der mit Sperberblick darauf achtet, ob vielleicht ein Rad verbotenerweise einige Zentimeter neben der Linie steht? Der Italiener in Castellina zeigt nochmals mit dem Finger zum Boden. Ich steige aus.
Hm, er lächelt jetzt. Ich weniger. Denn: Der linke Vorderreifen ist platt, richtig platt.
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| Platt. Nur platt. |
Und jetzt wieder im Kopf. Die Nacht zuvor, die Heimfahrt vom Dorf zur Unterkunft, es war dunkel, sehr dunkel, die schmale Strasse führte durch den Wald – und plötzlich, ein Knall, sehr laut, er blieb im Ohr, noch lange – er muss von links aus dem Gebüsch gekommen sein, ich sah es nicht, hörte nur diesen schlimmen Knall.
Ein Stachelschwein war es, es tat so weh. Das arme Tier.
Und am anderen Tag kam seine Rache. Am Pneu, diesem Bösen, der ihn
erfasst hatte.
Es ist nicht unwichtig für diese Geschichte, 13.45 Uhr ist es in diesem Moment. Der ältere Italiener schmunzelt und läuft davon. Und ich: Erst ratlos.
Dann im Kopf, die Versicherung, Axa, Pannenhilfe im Ausland. Die Frau in Zürich (oder irgendwo, heute weiss man das nicht mehr genau, vielleicht in Belgrad oder Bratislava) sehr kompetent, Fiat 500, wie herzig, sagt sie, ich fand dies zwar im Moment nicht, aber es werde sofort Hilfe kommen, spätestens in einer Stunde, versprochen.
Warten und sitzen im Auto. Eine Stunde, niemand kommt, und jetzt die nächsten drei Stunden nur im Schnelldurchlauf:
Weitere Telefonate, nach Zürich oder Belgrad oder Bratislava, einige Entschuldigungen, tut uns leid, sie, die Pannenhilfe müsste schon längst da sein, wir kümmern uns darum, zwischendurch hagelte es in Castellina, es ist sehr dunkel und kalt, die nahe Bar wäre ein schöner Fluchtort, aber wenn ausgerechnet in diesem Moment die Rettung aus Siena oder Florenz oder vielleicht gar Rom, ist ja möglich, wenn es so lange dauert, kommt und niemand im Auto wartet?
Es kam aber niemand. Um 17 Uhr nicht, um 18 Uhr nicht.
Am Radio sang zwischendurch einmal, nicht gelogen, Francesco De Gregori sein schönes «Viva l’ Italia», es heisst darin: «Viva l’Italia, l’Italia che lavore, l’Italia che si dispera, l’Italia che si innamora.»
Es ist nicht unwichtig für diese Geschichte, 13.45 Uhr ist es in diesem Moment. Der ältere Italiener schmunzelt und läuft davon. Und ich: Erst ratlos.
Dann im Kopf, die Versicherung, Axa, Pannenhilfe im Ausland. Die Frau in Zürich (oder irgendwo, heute weiss man das nicht mehr genau, vielleicht in Belgrad oder Bratislava) sehr kompetent, Fiat 500, wie herzig, sagt sie, ich fand dies zwar im Moment nicht, aber es werde sofort Hilfe kommen, spätestens in einer Stunde, versprochen.
Warten und sitzen im Auto. Eine Stunde, niemand kommt, und jetzt die nächsten drei Stunden nur im Schnelldurchlauf:
Weitere Telefonate, nach Zürich oder Belgrad oder Bratislava, einige Entschuldigungen, tut uns leid, sie, die Pannenhilfe müsste schon längst da sein, wir kümmern uns darum, zwischendurch hagelte es in Castellina, es ist sehr dunkel und kalt, die nahe Bar wäre ein schöner Fluchtort, aber wenn ausgerechnet in diesem Moment die Rettung aus Siena oder Florenz oder vielleicht gar Rom, ist ja möglich, wenn es so lange dauert, kommt und niemand im Auto wartet?
Es kam aber niemand. Um 17 Uhr nicht, um 18 Uhr nicht.
Am Radio sang zwischendurch einmal, nicht gelogen, Francesco De Gregori sein schönes «Viva l’ Italia», es heisst darin: «Viva l’Italia, l’Italia che lavore, l’Italia che si dispera, l’Italia che si innamora.»
Bella Italia. Es könnte so sein. Es war so, vorgestern im schönsten Sonnenschein.
Um 19.30 Uhr ein weiteres, sehr verzweifeltes Telefon nach, sie wissen schon, wohin vielleicht. Es muss der Abenddienst sein, eine sehr nette, jugendliche Stimme, aber hm…. nicht mehr ganz so kompetent, sie findet das Dossier nicht, ich muss das Kennzeichen nochmals sagen, es ist ein Mietauto, ich kenne die Nummer doch nicht, also aussteigen, schauen, es regnet immer noch heftig.
Wo sind sie, fragt sie? In Castellina in Chianti. Wo ist das? In der Toskana. Oh, das muss sicher wunderbar sein. Ja schon, nur nicht jetzt, ich friere seit bald fünf Stunden und warte. Oh das tue ihr aber sehr leid, haben sie keine Decke? Nein, auch nichts zum Trinken.
Am Ende des Telefons. Sie, die nette, junge Stimme, glaube, heute komme wahrscheinlich niemand mehr, wissen sie, die arbeiten auch in Italien nicht so lange. Wir rufen sie morgen wieder an.
Jemand ruft eine halbe Stunde später an, unbekannte Nummer, «anonym» leuchtet auf, normalerweise weiss ich, wer dann anruft, jemand vom Tegernsee, aber der hat mit seinen Bayern jetzt gewiss andere Sorgen. Er verspreche, sagt die Stimme am Telefon, er verspreche es wirklich, morgen um neun, Punkt neun komme die Hilfe, lassen sie ihren Wagen einfach stehen, irgendetwas sei da schief gelaufen, es sei unerklärlich. Gehen sie jetzt in die Bar, er hat in seinen Notizen gesehen, dass mein Auto neben einer Bar steht.
Danke.
Am anderen Morgen um neun kommt niemand. Auch um halb zehn nicht. Aber kurz nach zehn. Er winkt schon aus seinem Abschleppauto, sein Lachen ist so lieb, man musste auch ihn lieb haben.
Und so fahren wir dann los, er und ich, der Fiat 500 hinten als Huckepack, der Stachel vielleicht mit im platten Pneu, durch die liebliche toskanische Landschaft, die Sonne scheint gar wieder, die Reifengarage «Il Mastro gommaio» ungefähr 20 Kilometer entfernt, der liebe Mann von der «Soccoreo Stradale», er hat eben erst neu in der Firma begonnen, ist vergnügt. «Buon viaggio», sagt er noch als wir uns verabschieden. Und fährt weg, winkt. Immer noch vergnügt.
Ich bin es auch wieder, irgendwann, viel später, mit nicht nur einem, sondern zwei neuen Pneus. Der Fiat geniesst die Fahrt durch die sanften Hügel.
Die «Salmone marinato al sale e zuchero con insaltina croccante» direkt an der schiefen Piazza del Campo im fabelhaften Siena ist dann köstlich. Das Gelati, mit sehr dunkler Schokolade, später auch.
Um 19.30 Uhr ein weiteres, sehr verzweifeltes Telefon nach, sie wissen schon, wohin vielleicht. Es muss der Abenddienst sein, eine sehr nette, jugendliche Stimme, aber hm…. nicht mehr ganz so kompetent, sie findet das Dossier nicht, ich muss das Kennzeichen nochmals sagen, es ist ein Mietauto, ich kenne die Nummer doch nicht, also aussteigen, schauen, es regnet immer noch heftig.
Wo sind sie, fragt sie? In Castellina in Chianti. Wo ist das? In der Toskana. Oh, das muss sicher wunderbar sein. Ja schon, nur nicht jetzt, ich friere seit bald fünf Stunden und warte. Oh das tue ihr aber sehr leid, haben sie keine Decke? Nein, auch nichts zum Trinken.
Am Ende des Telefons. Sie, die nette, junge Stimme, glaube, heute komme wahrscheinlich niemand mehr, wissen sie, die arbeiten auch in Italien nicht so lange. Wir rufen sie morgen wieder an.
Jemand ruft eine halbe Stunde später an, unbekannte Nummer, «anonym» leuchtet auf, normalerweise weiss ich, wer dann anruft, jemand vom Tegernsee, aber der hat mit seinen Bayern jetzt gewiss andere Sorgen. Er verspreche, sagt die Stimme am Telefon, er verspreche es wirklich, morgen um neun, Punkt neun komme die Hilfe, lassen sie ihren Wagen einfach stehen, irgendetwas sei da schief gelaufen, es sei unerklärlich. Gehen sie jetzt in die Bar, er hat in seinen Notizen gesehen, dass mein Auto neben einer Bar steht.
Danke.
Am anderen Morgen um neun kommt niemand. Auch um halb zehn nicht. Aber kurz nach zehn. Er winkt schon aus seinem Abschleppauto, sein Lachen ist so lieb, man musste auch ihn lieb haben.
Und so fahren wir dann los, er und ich, der Fiat 500 hinten als Huckepack, der Stachel vielleicht mit im platten Pneu, durch die liebliche toskanische Landschaft, die Sonne scheint gar wieder, die Reifengarage «Il Mastro gommaio» ungefähr 20 Kilometer entfernt, der liebe Mann von der «Soccoreo Stradale», er hat eben erst neu in der Firma begonnen, ist vergnügt. «Buon viaggio», sagt er noch als wir uns verabschieden. Und fährt weg, winkt. Immer noch vergnügt.
Ich bin es auch wieder, irgendwann, viel später, mit nicht nur einem, sondern zwei neuen Pneus. Der Fiat geniesst die Fahrt durch die sanften Hügel.
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| Alles wieder gut: Auf der Piazza del Campo in Siena |
Die «Salmone marinato al sale e zuchero con insaltina croccante» direkt an der schiefen Piazza del Campo im fabelhaften Siena ist dann köstlich. Das Gelati, mit sehr dunkler Schokolade, später auch.
Und alles vergessen. Nur das arme Stachelschwein. Es tut mir so leid.
Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge»
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