Gitarre statt Ball

Blog-Nr. 313


Weil das Konzert wirklich grossartig war, weil der Tagi auf der Frontseite ein Bild brachte wie selten so gross und im Innenteil eine ganze Seite und titelte «Grossartig und grosskotzig» und am Schluss stand, es sei zuletzt wie beim Fussballtraining gewesen, alle hätten noch etwas jongliert und getrickst ...

... weil sich im Kaufleuten am Montagabend alle wünschten, das Konzert würde nicht nur bis fast Mitternacht, sondern bis zum Morgengrauen  dauern, weil es so schön, so berauschend, so tanzend-schwebend war ...

... weil Faber, der Julian Pollina heisst, und seine grossartige Band einfach einen unvergesslichen Auftritt boten, nachstehend ein alter Text, ich habe ihn vor fast sieben Jahren im Tages-Anzeiger geschrieben und beschreibt auch den ganz jungen Julian, wie es anfing bei ihm, wie er einst von einer Karriere als Fussballer (möglichst bei Inter) oder als Pirat träumte – und heute ganz viele «süchtig» macht wie der Tages-Anzeiger schreibt, nach seiner Musik und vor allem auch seinen Texten. Er schreibt und singt dann solches: «Ich bin ganz allein, ganz allein mit dem Gefühl allein zu sein/(…)Doch du kriegst mich nicht zurück/Warum schreibst du nicht zurück?/Ich hab gesehen, da sind zwei Haken/Das ist der Haken an der Sache/Zuletzt online, 20 Uhr 10/18 Uhr habe ich gefragt, wie es dir geht/Ich merke, wenn du lügst, mit wem warst du im Bett?/(…)Ooh, du kriegst mich nicht zurück/Ich war jahrelang gefangen/Gefangen in deinen Fängen/.»

Hätten sie doch am Ende noch länger jongliert und getrickst und nie aufgehört, wir wären geblieben und wären nicht eingeschlafen bei dieser Musik. Und diesen besonderen Texten und Sprache.

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Ein Kind aus dem Seefeld, es gibt viele solche Kinder, die diesen Traum ­haben, es ist unterwegs mit einem Ball, es spielt auf dem Pausenplatz der Schule und auf den wenigen Wiesen, die es im Quartier noch gibt. Es spielt leidenschaftlich, und es hat den Wunsch, einmal Fussballer zu werden. Es tut alles dafür. Aus dem Seefeld gibt es einige, die es weit gebracht haben, die Hermann-­Brothers, Heinz ist immer noch der mit den meisten Länder­spielen (das war 2017 so), oder Urs Meier. Die Idole der Kids von heute haben aber andere Namen.

Julian Pollina, auch er ist im Seefeld aufgewachsen. Sein Vater ist der bekannte sizilianische Cantautore Pippo, und auch Julian wollte Fuss­baller werden, Fussballer oder Pirat, Inter Mailand war seine Mannschaft, von Ronaldo, dem ersten, dem aus Brasilien, und dem bulligen Stürmer Christian Vieri hat er geschwärmt.

Doch dann entdeckte er die Musik, begann mit 15 eigene Lieder zu schreiben, wählte das musische Profil an der Kantonsschule Küsnacht, und mit seiner Gitarre lief er bald durch die Strassen des Quartiers, spielte in Hinterhöfen, in kleinen Bistros, bei Geburtstagen und Hochzeiten, er war glücklich, wenn man ihm zuhörte. Er sagte einmal, er könne sich nicht vorstellen zu arbeiten, aber glaube fest daran, dass das mit der Musik funktionieren könne, er müsse es nur ­genügend lange machen.

Faber und seine Band am Schluss des Konzertes
im Kaufleuten am Montagabend
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Julian Pollina trat mit seiner famosen Band in der letzten Woche im Plaza-Club in Zürich auf, er tut dies inzwischen unter dem Namen Faber. Die Bühne ist sein Leben, wenn er einige Tage nicht auftreten kann, fehle ihm etwas, er sei süchtig ­danach. Im intimen Club war er besonders nervös, er kenne fast jedes zweite Gesicht.

Zuletzt spielte er in Deutschland immer wieder in ausverkauften Hallen, und dort ist seit Monaten ein eigentlicher Hype um ihn entstanden, es wird in den Feuilletons der «Zeit» und im «Spiegel» über ihn berichtet, den 24-Jährigen mit der rauen, tiefen und dunklen, verrauchten Stimme und seinen Songs, die manchmal liebevoll, dann zynisch und wieder sarkastisch und selbstironisch, bitterbös, verrucht und klug und manchmal auch politisch sind, in einem astreinen Deutsch. Er liebt das Spiel mit mehrdeutigen Worten. Seine Reime sind immer wieder schräg.

Die Musikkritiker vergleichen und nennen Namen wie Cohen, Cave, Winehouse, Gainsbourg, Knef, Waits oder Brel. Doch Julian Pollina will einfach Faber sein. Er textet und singt: «Einer von uns beiden war ein Arschloch / ich wars nicht / du holst Kaffee bei Starbucks / mein Leben ist ein Start-up für dich», aus dem Album «So ein Faber im Wind».

Sie haben ihren Traum, die Kids im Seefeld, die mit dem Ball, und dieser Julian mit seinen Wuschellocken. Wenn du etwas machst, dann zieh es durch, sagt er, er macht es mit Leidenschaft. Auch Glück müsse man haben, im richtigen Moment am richtigen Ort sein. 

Das Glück hiess bei ihm Sophie Hunger. Er sah die Sängerin auf dem Zürcher Lindenhof, nahm all seinen Mut zusammen und fragte, ob er ihr einmal etwas vorsingen durfte. Er durfte. Mit der Gitarre.

Der Ball sagt ihm nichts mehr.

(Der Text erschien zum ersten Mal am 11.12.2017 im Tages-Anzeiger)


Faber und sein Caruso im Kaufleuten (Video Youtube Fredy Wettstein)


Die nächsten Konzerte von Faber in Zürich: 6. und 7. September, 20 Uhr, Volkshaus (beide praktisch ausverkauft)


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