Tipi da spiaggia

Blog-Nr. 317




Es begann mit einer SMS. «Ich muss mit dir reden», schrieb Luca, der Architekt, seinem Freund Bruno, dem Werber, und bevor dieser sich Gedanken machen konnte, was denn so dringend sein könnte, kam bereits die nächste Nachricht: «Es ist dringend. Nichts Schlimmes.»


Bruno verstand noch weniger: Dringend, aber nicht schlimm? Etwa neu verliebt?

Bruno wusste, Luca hatte es ihm beim letzten Treffen nach dem dritten Espresso gesagt, er denke an eine Trennung, denn er habe, seine Augen leuchteten dabei, was bei ihm noch kaum je vorkam, kürzlich jemanden kennengelernt, einen Namen nannte er nicht – aber plötzlich so dringend?

Luca? Trennung? Er kennt ihn doch von einer anderen Seite, er ist einer, der in seinem Leben nie etwas überstürzt getan hat, privat und beruflich und selbst beim Kauf eines neuen Autos, allerdings auch fast nie um Rat fragt. Er kann, bei aller Freundschaft, verschwiegen sein.

«Wo wollen wir uns denn sehen und wann? Morgen beim Espresso in unserem Bistro?» schrieb er zurück.

Die Antwort kam innert Sekunden: «Wie immer dort, aber nicht zum Espresso, sondern zu einem späten Apéro, du kannst auch erst um 10 abends kommen», und dazu hatte er eine grosse Auswahl von Smileys angehängt: tanzend, singend, trinkend (in verschiedensten Variationen), lachend, grinsend, Daumen hoch, ein Luftballon, Bruno wusste gar nicht, dass es so viele Variationen gibt. Luca hatte sich bei seinen Nachrichten bisher noch kaum jemals derart ausgedrückt.

Und, eine Stunde später, kam noch eine SMS, und es stand nur das: «Tipi da spiaggia». Ohne Smiley. Es hätte sicher eines gehabt, das gepasst hätte.

Bruno lernt zwar im Moment spanisch, auf einer App, Duolingo, und davon wollte er Luca beim nächsten Espresso vorschwärmen, weil es ihn richtig gepackt hat und es dabei Ranglisten gibt und er so ehrgeizig ist wie früher beim Sport, auf- und absteigen kann man dabei auch, aber soviel italienisch verstand er doch: Strand.

Aber was soll es denn bedeuten?


Bruno kam, einiges vor 22 Uhr, er war sehr neugierig, draussen war es dunkel und drinnen, in ihrem Bistro, so ganz anders als sonst bei ihrem morgendlichen Espresso.

Es sassen  ältere Männer am Nebentisch, es sind fast immer die gleichen, und diese reden so und das jeden Morgen, als wäre es die Fortsetzung der Tagesschau vom Abend zuvor: Über Putin, Trump, Israel, das sich in der Welt immer mehr isoliert, die Lokführer in Deutschland und ihre Forderungen, die AHV und wie man diese finanzieren soll, aber es so gut sei, dass es jetzt dann eine 13. gibt, und dazwischen auch ganz Banales, den Stau am Gotthard und jene, die an Ostern an die Sonne und in den Süden wollen, wie jedes Jahr, und nun dort im Schnee und Dauerregen die Eier suchen müssen, oder über den tiefen Fall der GC-Fussballer, und den Fritz, «Harry, hol mal schon den Wagen», Wepper, der gestorben ist mit 82, er war doch einer von ihnen, sie alle am Tisch liebten ihn.

Nein, es war jetzt anders in ihrem Bistro. Viele Leute an der Bar, Männer, elegant gekleidet die meisten wenigstens, und was einst die Krawatte war, sind jetzt die weissen Schuhe zu einem Anzug mit weissem Hemd, einige, es war ihnen anzumerken, hatten ihren ersten Ramazzotti oder Negroni Sbagliato schon länger hinter sich, einige Frauen sassen auch auf den Hockern, es wurde gelacht und geflirtet und getrunken und mitgesungen oder zumindest die Lippen bewegt.

Luca wartete weiter hinten im Lokal bereits an einem Tisch, es war angeschrieben mit «Luca und Bruno», rechts beim grossen Fenster, die Beleuchtung gedimmt, eine Lampe der Quartierstrasse erhellte das Lokal zusätzlich, und einige Leute standen noch draussen mit einem Glas in der Hand, obwohl es inzwischen recht kühl geworden war, es ist ja immer noch März.

«Brunooooo!, Endlich!», rief Luca von weitem, und er lachte, denn er wusste, dass er seinem Freund gesagt hatte, zehn Uhr reiche. Sein Freund war auffallend locker, gar etwas übermütig, was sonst nicht seine Art ist, jedenfalls anders als jeweils am Morgen, vielleicht war er ja doch verliebt, kann ja auch im späteren Alter passieren.

Bruno konnte gar nicht danach fragen, Luca sagte strahlend: «Bere, cantare, ballare», er wiederholte es dreimal. Es stand nicht das erste Glas vor ihm und auch sicher mehr als das zweite, und auch Bruno lachte nun.

Luca begann von früher zu erzählen.

Sie kannten sich schon lange und waren einst, als sie jung waren, sehr jung, oft gemeinsam nach Italien gefahren, einmal waren sie vier Wochen dort, auf der Insel Sizilien, Lipari! sagte Luca jetzt, seine Augen leuchteten, es kamen ihm wohl viele Bilder in den Kopf, und er erzählte, wie es damals war, Sonne, Strand, Sand, er fügte noch anderes bei, es sei doch die ewige ewige Sehnsucht gewesen, er hob das Glas, schenkte Bruno ein, der DJ spielte die nächste Canzone, Ramazzotti, nicht der Drink, der Sänger, mit «L’ Aurora», und Bruno getraute sich gar nicht zu fragen, ob sie nun möglicherweise Aurora heisse.

Die beiden Freunde genossen den Abend, die Stimmung, das nächtliche unbeschwerte Leben, einige im Bistro tanzten schon oder machten wenigstens etwas ungelenke Bewegungen, das Alter, und irgendwann sagte Luca: «Tipi da Spiaggia», so fühle er sich, er übersetzte selber: Wie ein Strandtyp.

Es sei doch wie damals, und er stand auf, erstaunlich geschmeidig, rückte seine Hose etwas nach unten, und tatsächlich, eine rote Badehose war zu erblicken, nicht jene von damals, sein Bauch hat eine Entwicklung genommen, er muss eine neue gekauft haben, von M zu XL, vielleicht gar XXL, andere Gäste wunderten sich etwas, und natürlich sang Eros irgendwann auch das, «Cose della Vita.»

Es war so ganz anders als sonst beim Espresso. Mit jeweils der Fortsetzung der Tagesschau vom Abend zuvor am Nebentisch. Auch Bruno wurde nun lockerer. Die Nacht war lang.


»Espresso» war von 2014 bis 2016 eine Kolumne im «Tages-Anzeiger». Sie lebt manchmal in diesem Blog weiter,


Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» 



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