Zuletzt war er einsam
Blog-Nr. 302
Zum Tode von Franz Beckenbauer
Es war am vergangenen Samstag in einem Dorf in Graubünden, eine kleine Runde bei einer Geburtstagsfeier, und irgendwann im Laufe des Abends kamen wir auf Franz Beckenbauer zu sprechen. Es gehe ihm gar nicht gut, sagte einer, der ihn schon lange kennt, mit ihm zusammen spielte, aber auch er hatte zuletzt keinen Kontakt mehr, seine Familie in Salzburg schirme ihn ganz ab. Er sei sehr einsam. Und auch verbittert.
Und ein anderer kam auf den Film zu sprechen, der die ARD an diesem Montag ausstrahlte, er heisst schlicht «Beckenbauer», beide am Tisch hatten ihn bereits gesehen, und einer sagte, ihm sei es vorgekommen wie ein Pre-Obituarium, wie eine Dokumentation, als sei er schon gestorben.
Ein schöner Film sei es, nur schade, dass es im letzten Teil nur noch um die Schattenseiten in Beckenbauers Leben gehe, um das Sommermärchen 2006, die WM in Deutschland, die mit ungeklärten Geldströmen offenbar gekauft wurde. Und das Ende bleibt doch immer in Erinnerung.
Am Montag, kurz nach 17 Uhr, drei Stunden bevor der Film im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, kam die Nachricht: Franz Beckenbauer ist gestorben, 78 wurde er, er hatte unter einer schweren Herzkrankheit gelitten, war auf einem Auge blind.
Und der Film, der jetzt zu seinem Nachruf wurde, erzählt das ganze Leben von Franz Anton Beckenbauer, sein Weg vom Sohn eines Postsekretärs aus München-Giesing zum Kaiser, der dem Ball nicht nachrennt, sondern mit ihm tanzt, über den Rasen schwebt, majestätisch, als würde er stets im Smoking fussballspielen. Eleganter war wohl kein anderer Fussballer, alles schien leicht, er hatte meistens, als das Spiel abgepfiffen wurde, immer noch ein sauberes Trikot. Gearbeitet haben (auch für ihn) andere.
Die Zeitungen schrieben vom Flaneur des Fussballs. Vom Liebling des Schicksals. Vom Franz im Glück. Er war das Gesamtkunstwerk der Republik. Die Lichtgestalt. Das Maskottchen unserer Kultur. Das Glückskind. Einer für alles(s). Der Franzdampf in allen Gassen. Der Magier unter der Sonne. Der Pate. Der freie Mann. Das Denkmal. Der Bundespräsidentenkanzler. Der Weltmeisterspieler. Der Weltmeistertrainer. Der Weltmeisterfunktionär – es waren dies während vieler Jahre alles Titel und Beschreibungen in deutschen Zeitungen und Magazinen.
Ihm fiel alles zu. Bei einem Besuch in Marseille, wo er einmal Technischer Generaldirektor und kurz auch Trainer war, sagte er an einem frühlingshaften Tag im Januar 1991 auf die Frage, was er hier eigentlich noch mache, lachend: «Ja gut, was ich mach?», und er überlegte einen kurzen Moment: «Ich bin da.» Da war er wegen Präsident Bernard Tapie, der ihn überredet hatte, was er aber bald bereuen sollte.
Zwei Sätze aus dem Film bleiben haften. Joschka Fischer, der frühere deutsche Aussenminister, sagte: «Die Deutschen wollten die WM, inklusive mir selbst, und wir waren froh, dass wir einen Franz Beckenbauer hatten.» Und Paul Breitner, sein ehemaliger Mitspieler: «Glauben Sie, dass irgendein anderer, ein Meier, Müller oder Huber diese WM nach Deutschland hätte bringen können? – Niemand ausser Franz Beckenbauer.»
Und ein Bild bleibt ewig. In Rom im Stadio Olimpico, in dieser lauen Nacht im Juli 1990, als die Deutschen Weltmeister wurden, aus dem Lautsprecher ertönte ein letztes Mal das Lied vom «italienischen Sommer» des Duo Nannini/Bennato, und auf dem Rasen schlenderte ein Mann durch den Mittelkreis, die Hände lässig in den Hosentaschen, schaute zum Boden und dann irgendwohin ins Leere, über sich nur noch der Vollmond.
Weshalb er plötzlich dort war? «Ich wollte meine Ruhe haben, und der einzige Ort, wo ich frei war, war auf dem Platz.» Sein ganzes Leben wäre in diesem Moment an ihm vorbeigegangen.
Ein Mann mit Stil, das war er. Als Fussballer. Als Trainer ohne Trainerschein. Als Mensch. Nie abgehoben, nie arrogant, immer charmant Und deshalb sagt der deutsche Schriftsteller Albert Ostermaier am Ende des Filmes: «Ich würde mir wünschen, dass am Ende die Schönheit bleibt.»
Zwei, die sowohl als Spieler wie auch als Trainer Weltmeister wurden, starben innert zweier Tage: Der Brasilianer Mario Zagallo am 5. Januar, Franz Beckenbauer am Sonntag. Der Dritte, Didier Deschamps, lebt noch und ist weiter Trainer der Franzosen.
Er nehme das Leben nicht so ernst, sagte Beckenbauer einmal, «der Tod ist das Leben, und ich glaube an das Weiterleben.»
*In einer ersten Fassung des Textes stand, dass nur zwei Weltmeister als Spieler und Trainer geworden sind. Didier Deschamps ist es auch, er ist immer noch Trainer der Franzosen.
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