Auf den Sack gehen

Blog-Nr 276



Er hätte sagen können, er werde ihnen wieder auf die Nerven gehen. Oder ihnen lästig sein. Er sagte es anders. Er begann so, mit einem «ja», weil er seine Antworten meistens mit «ja» beginnt, nur «schlussendlich», das sagt er inzwischen weniger, das hat er anfänglich immer gesagt, es war irgendwie zu seinem Markenzeichen geworden, und die Fans hatten gar Bierdeckel entworfen, auf denen stand: «Und niemals vergessen *Schlussendlich.»




Also jetzt sagte er «ja» und fügte an, es sei doch eigentlich einfach, es folgte ein «äh», auch «äh» sagt er oft, und dann diesen Satz: «Ich habe gesagt, dass ich ihnen auch in diesem Jahr wieder auf den Sack gehen werde.» Eben, auf den Sack gehen, nicht einfach nur lästig sein.



Urs Fischer vor der neuen Saison (Youtube)

Die Frage des Journalisten war gewesen, was er den Spielern des 1. FC Union Berlin vor der neuen Saison gesagt habe.

Und es war so typisch, und sagt so alles aus, über Urs Fischer, wie er ist, wie er denkt, wie er spricht, warum er so beliebt ist, in Berlin, nicht vielleicht im ganzen Berlin, aber im Osten, wo die Union, dieser Arbeiterverein zu Hause ist, in Köpenick. Aber er ist überall beliebt in Deutschland, eben wurde er bei einer Umfrage des Fachmagazin «Kicker» zum deutschen «Trainer des Jahres» gewählt, es war eine Wahl von 293 Journalisten, und er wurde mit grossem Abstand gewählt. Er war auch Schweizer «Trainer des Jahres», und Berlins «Coach des Jahres», schon mehrmals.

Urs Fischer ist Urs Fischer, in jedem Moment, dafür lieben sie ihn. Er kneift auf dem Video, das auf Youtube und anderswo zu finden ist, die Lippen zusammen als er das gesagt hat, aber man spürt, wie er auch innerlich schmunzelt, obwohl er es ganz ernst meint, denn Fischer geht seinen Spielern sicher oft auch auf den Sack.

Damit hatte und hat er auch diesen Erfolg: 2018 war er zur Union gekommen, 2019 stieg er in die 1. Bundesliga auf, alle glaubten, es sei nur ein kurzes Abenteuer, Union blieb oben, qualifizierte sich 2021 für die Conference League, 2022 für die Europa League, und jetzt, in diesem Jahr, gar für die Champions League.

Fischer und sein Hobby

«So ‘ne Scheisse, so ‘ne Scheisse, so ‘ne Scheisse: Champions League!», sangen die Fans der Unioner zur Melodie von Rod Stewarts «Sailing» im Stadion An der Alten Försterei, übermütig und auch etwas ironisch. Sie konnten es selber gar nicht recht glauben, Union in der gleichen Liga wie Real Madrid, Manchester City oder Inter Mailand, unter den Besten Europas.

Aber Urs Fischer wird auch jetzt wieder das Gleiche sagen (und seinen Spielern deshalb auf den Sack gehen), Champions League sei ja wunderbar, aber wichtig sei die Bundesliga, 40 Punkte seien am Ende nötig, das sollte reichen, um nicht abzusteigen.

In einer Woche beginnt die Bundesligasaison wieder. Und ich freue mich auf Urs Fischer, der so wunderbar passt zu diesem kultigen Klub in Köpenick. Auf seine «äh»’s, auf «endlich», vielleicht «schlussendlich», auf sein «hä» manchmal am Schluss eines Satzes, auf sein verschmitztes Lächeln, auf seine Demut, seinen treuen Blick in die Kamera, seine Bescheidenheit in diesem Geschäft der vielen Selbstdarsteller, seine Bodenhaftigkeit. Er sagt selber über sich, er sei ein Dienstleister für die Mannschaft.


Er weiss, Glück ist eine Momentaufnahme. Man kann aber etwas dafür tun, damit es wieder kommt. Dafür muss er, muss seine Mannschaft manchmal eklig sein, «eklik» sagt er, oder den Spielern eben auf den Sack gehen.

Die Zuschauer werden ihn – wie auch die Spieler – vor einem Spiel nach dem Namen mit «Fuss-ball-gott!!» antworten und begrüssen. Und dazu wird in diesem Herbst an manchen Abenden eine Melodie ertönen, die einst Georg Friedrich Händel komponiert hat. Die Champions-League-Melodie. Beim 1. FC Union Berlin. «Einfach der Wahnsinn» sei das, schreibt er selber in einer SMS-Nachricht.





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