38,4°, nicht Corona

Blog, Nr.278


Bruno, der Werber, sitzt schon an einem Tisch im Bistro, draussen, weil es drinnen viel zu stickig ist, draussen morgens um acht aber auch schon fast 25 Grad, vor sich Wasser und keinen Espresso, und er liest  die Zeitungen  und überall gibt es das gleiche Thema und Tipps dazu, ein Psychologe sagt: Man solle sich täglich wiegen, möglichst zweimal, morgens und abends, nicht nur viel trinken, auch viel Salz sei wichtig, und ein anderer sagt: Später zu Bett gehen helfe auch nichts. Und Sport treiben? Ja nicht, auf keinen Fall. Bruno hat vorgesorgt, sein Krafttraining am Vortag hat er abgesagt, vernünftig schien ihm das. Hitze bedeutet Stress, liest er auch irgendwo, und Krafttraining stresst ihn manchmal selbst im Winter, wenn es draussen schneit.

Da kommt Luca, der Architekt, doch noch, er scheint schon mit den Mundwinkeln zu jammern, Bruno ist gefasst auf schlechte Nachrichten, Luca ist einer, der schnell einmal jammert, aber Luca sagt nur eine Zahl: 38,4. Bruno hat es geahnt, dein Fieber sagt er, und schaut ihn böse an, warum käme er überhaupt hierher, bleib doch zu Hause im Bett, sagte er und er habe eben auch gelesen, es gäbe da eine neue Corona-Variante, die breite sich aus.

Luca, jetzt jammern die Mundwinkel nicht mehr, lacht. Bruno, sagt er, 38,4, das war gestern, in Genf oder Sitten oder vielleicht war es in Steg, er wisse gar nicht wo das liege, und in Vevey, da sei es auch nachts nie unter 25,4 gewesen. Ja, ja, sagt Bruno, und bei Bucheli im Fernsehen sind die Zahlen vielleicht gar noch höher.

Am Nebentisch kommt einer auch später, seine Kollegen, mit denen er fast jeden Morgen zusammensitzt, sind schon längst da, und er fragt: Über was redet ihr? Sie reden jeden Morgen miteinander, springen dabei von Thema zu Thema, und manchmal ist es lustig mitzuhören, wie ein Stichwort, zufällig in einen Mund gekommen, zu einem anderen Thema führt. Das Leben ist eben immer wieder Zufall. Auch bei Stammtischgesprächen oder dort besonders.

Aber worüber reden sie? Dumme Frage, gibt es etwas anderes in diesen Tagen?

Die Flucht in einem heissen Sommer

Das Wetter. Die Hitze. Die Temperaturen. Das Klima. Und eben: die Zahlen. Rekorde, täglich irgendwo, Jahresbestleistungen, Weltrekorde irgendwo, nicht in der Leichtathletik, bei der WM in Budapest, nicht im Schwimmen, nein in der Luft, Rekord auf 5000 Meter über Meer, selber schuld, wer so hoch hinaufsteigt oder klettert, Rekord beim Wasser, der Zürichsee sei eine Badewanne, 27,8. Und es gibt gar Ranglisten: Erste, Zweite, Dritte, ein Ort, eine Zahl, und auf dem 46. Platz Zürich-Kaserne, sagt Luca, er habe das gegoogelt, 410 m über dem Meer, 35,4. Im Tarnanzug muss sich das wie 60 anfühlen, sagt Bruno, Zürich-Kaserne, weshalb messen die ausgerechnet dort?

Am Nebentisch kommt jetzt auch der Ruedi. Warst du am Trainieren? fragt einer, Ruedi sagt nur: Spinnst du, morgen sei es noch heisser, habe er eben am Radio gehört.

Luca hat das Gespräch am Nebentisch auch zugehört. Vielleicht schaffen wir es, über 39, sagt er, aber Grono, das liegt in Graubünden, schaffen wir nicht, das war 2003 und 41,6.

Bruno sagt nur, Luca, mein Freund, sagt er, er will höflich sein, du hast doch Fieber.


Das ist eine neue Folge der Espresso-Kolumne, die früher im «Tages-Anzeiger» erschien.


Fredy Wettsteins Blog «Wieder im Auge» kostenlos abonnieren,
oder auf Facebook folgen und lesen.

Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kuno Lauener und der Fotograf

Besuch bei Mamma

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Das Flick-Werk

Chaos bei GC

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!