Groupies und Schätzchen


Stadtgeschichten (7)


Luca, der Architekt, liest schon seine Zeitung, als Bruno, der Werber, durch die Tür des Bistros im Seefeld tritt, in dem die beiden ihren morgendlichen Espresso trinken. «Ciao», sagt er lediglich, vertieft sich wieder in seine Zeitung und sagt dann, ziemlich laut, sodass andere im Lokal es auch hören können und aufschauen: Es sei richtig, dass dieses Konzert abgesagt werden müsste. Hier stehe es in der Zeitung.




Wovon redest du?, fragt Bruno.

Diese Rammstein-Band mit diesem Leadsänger Till Lindemann dürfe nach allem, was man weiss, nächste Woche niemals in Bern auftreten, sagt Luca, man müsse ein Zeichen setzen.

«Hm», sagt Bruno.

Dieser Tillmann, sagt Luca, könne ja sehr lyrische Gedichte schreiben und habe, so lese er, eine sehr leise und angenehme Seite, aber ...

«Aber?», fragt Bruno.

Kunst rechtfertige doch nie einen Missbrauch. Weibliche Rammstein-Fans sollen, heisst es, rund und Konzerte gecastet, zu ihm geführt und heimlich unter Drogen gesetzt und manche sexuell bedrängt worden sein. Luca liest jetzt, wieder laut und viele hören zu, ein Gedicht von Tillmann vor, «hör das mal, Bruno»:

Ich schlafe gern mit Dir, wenn du schläfst/
Wenn Du dich überhaupt nicht regst/
Mund ist offen, Augen zu/
Kann dich überall anfassen/
Schlafe gerne mit Dir, wenn du träumst/
Und genau so soll das sein/
Etwas Rohypnol im Wein/
Kannst Dich gar nicht mehr bewegen/
Und du schläfst, es ist ein Segen.

«Hm», sagt Bruno.

Er wisse schon, sagt Luca, Groupies sind in der Rockmusik auch Kult, gehörten immer dazu. «Aber warum», fragt er, «sagst du nur immer 'Hm'? Hast du keine Meinung, Bruno?» Es scheint doch,  dass hier Phantasien Wirklichkeit geworden sind.

«Spiegel»-Titelseite in dieser Woche

Jetzt redet Bruno. Er nimmt sein Handy und findet den Artikel, den er an diesem frühen Morgen online in der «Süddeutschen Zeitung» gelesen hat. Der Autor beschreibt darin in einem wunderbaren Text aus Velden am Wörthersee, wie sich an diesem Ort der Adel der deutsch-österreichischen Showbranche sehnsuchtsvoll an Zeiten erinnert, in denen alles erlaubt war, «Rammstein» und Me Too» seien in diesem Moment weit weg. Und Bruno zitiert jetzt auch eine Textzeile. «Magst du dich erinnern an dieses Lied von Udo Jürgens?» Der Autor schreibe in der Zeitung, dass gewisse Lieder - nicht alle - heute nur noch schwer hörbar seien. «Dieses geht so, Luca, hör mal:»

Es wird Nacht, Senorita/
Siehst du nicht, wie ich frier?/
Drück mich fest an dein Herzchen/
Ich will gar nichts von dir/
Etwas Liebe vielleicht.

Das seien doch andere Zeiten gewesen, harmlos, sagt Luca, Frauen waren damals einfach noch Schätzchen.

Genau so, sagt Bruno, habe die «Süddeutsche» auf der ersten Seite diese Geschichte angekündigt: «Als Frauen noch Schätzchen waren: Sexismus und Schlager».

Es ist ein Moment lang still im Bistro. Dann sagt Luca: «Bruno, gehst du nächste Woche nicht nochmals zu Bruce Springsteen in den Letzigrund? Und du willst doch diesmal ganz vorne stehen, wo es immer bei den Konzerten auch viele Frauen hat, die davon träumen, ihn wenigstens berühren zu können, um ihm ganz nahe zu sein.»

Luca ist entsetzt. Springsteen und seine Band, da sei nur Musik und keine riesige Inszenierung, es gäbe keine Provokationen, da komme kein Bild von einem Penis (Luca sagt ein anderes Wort) auf der Bühne. Und nach einer Pause: «Du, He is The Boss».

Jetzt schweigen die beiden Freunde. Sie bestellen nochmals einen Espresso, der erste ist ungeniessbar geworden.



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