Fotografieren, hm?
Stadtgeschichten (8)
Die Frau, sie ist 80 oder wohl noch einige Jahre älter, hat einen kleinen Tisch in einer Ecke des Restaurants bekommen. Sie möchte etwas essen, nicht viel, sagt sie.
Fotografieren, sie wiederholt es nicht, aber man kann es ihren Lippen ablesen und in ihren Augen sehen, sie denkt: fotografieren, hm, Code? Sie versteht nicht, vor allem was mit diesem Wort gemeint ist, schaut fragend auf diese komischen Zeichen vor sich, eingehüllt in einen Plastikumschlag. Sie hebt die Hand, zeigt dem Kellner mit einem Winken, dass er doch bitte nochmals zu ihr kommen soll.
Sie solle ihr Handy nehmen und fotografieren, dann würde sie sehen, was sie bestellen könne, hört sie. Ihr Gesichtsausdruck sagt, dass ihr das sehr spanisch vorkommt. Handy? Fotografieren?
Die Frau hält es in der Hand, vor sich auf dem Tisch diese komischen Zeichen, schwarz und weiss und eckig, es sind ganz viele, sie begreift nicht, was sie jetzt tun soll, fotografieren, wie denn? Wieder sagt sie es nicht, aber sie muss es gedacht haben, schaut um sich, ratlos, irgendwie verzweifelt.
Das ist ein QR-Code hört sie jetzt, aber versteht es nicht, vom Kellner, der wieder an ihrem Tisch steht, und er nimmt sein eigenes Handy aus der Hosentasche, tippt darauf und streckt es ihr hin, sie schaut, nimmt das Handy, das so anders aussieht als ihres, nahe an ihre Augen. Da stehe etwas, sagt sie, aber lesen könne sie nichts, wissen Sie, meine Augen, sagt sie, entschuldigend.
Und jetzt sagt die Frau, sehr bestimmt: «Könnten Sie es nicht fotografieren und mir ausdrucken, möglichst gross.» Der Kellner lächelt nun.
Und sie: Eine Kuh sehe sie aber nicht.
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