Die Stille damals


Sie schreien, sie reden fast nicht mehr, sie schreien meistens, und sie schreien besonders, wenn ein Tor fällt, und meistens ist es waaaaaahnsinnig oder unglaublich oder unfassbar, und man denkt (oder hört eben), dass sie oft auch schreien, um selber zu hören, wie sie schreien.





Der heutige Fussball ist anders als damals, und jene, die darüber berichten oder eben schreien sind auch anders, es ist eine andere Zeit.

Aber an damals erinnert man sich nun, weil einer gestorben ist, mit 96, der eben dafür stand, wie es war, damals.

Ernst Huberty, er redete mit sonorer Stimme und berichtete so, wie er immer auch gekleidet war, stilvoll, seine grauen, später mehr weissen Haare fein gescheitelt, er war der «Mister Sportschau» der ARD. Damals, als Samstag und nur Samstag der Tag des Fussballs war, Anpfiff in den Stadien 15.30 Uhr, abends ab 18 Uhr eben die Sportschau, anfänglich durften sie nur drei Spiele zeigen, aufgenommen mit zwei Kameras, und von den übrigen gab es keine bewegten Bilder, sondern musste Huberty nacherzählen.

Und wenn er Reporter war, da tönte es so, wie damals beim unvergesslichen Spiel Deutschland gegen Italien im Aztekenstadion in Mexiko-City bei der WM 1970, beim Ausgleich der Deutschen zum 1:1: «Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen. Ausgerechnet Schnellinger» - weil einer traf, Verteidiger bei der AC Milan, der sonst nie ein Tor schiesst. Und dann in der Verlängerung, beim 3:3: «Seeler - Müller - Tor - dreidrei.»


Ernst Huberty beim verschossenen Elfmeter von Uli Hoeness 1976 (Youtube)

Mehr nicht. Nur das. Alles gesagt. Huberty konnte schweigen, um auch so viel zu sagen. Wie 1976, Uli Hoeness hatte eben bei der EM im Elfmeterschiessen den Ball in den Nachthimmel von Belgrad geschossen - und bei der ARD blieb es still, lange einfach nur still. Bis sich Huberty kurz doch noch meldete: «Muss ich mehr sagen?» Pause. «Es ist der einsamste Augenblick.»

Weshalb sollte er? Heute würden am Fernsehen alle schreien. Wie kann er nur! Und waaaaaaahnsinnig  oder unglaublich oder unfassbar sei es.

Die Stille damals tat gut. Was würde man heute sagen, wenn einer wie Ernst Huberty noch am Mikrofon sässe?
 
 
 
 
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Kommentare

  1. Anonym26.4.23

    GROSSARTIGER Beitrag. Danke Fredy🙏😘👍💪💪

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