E hübsche Tag

Der Anbügler, schwarze Zipfelmütze, Sonnenbrille, braun gebranntes Gesicht, wünscht «e hübsche Tag», bevor er mich auf die Reise bergwärts schickt. «Atemlos» von Helene Fischer ertönt gleichzeitig aus einem grauen Transistorradio, der etwa so alt ist wie dieser Mann, er hat das Gerät auf eine Ablage aus Holz gestellt, mit einer Antenne. Die Anbügler sind, wenn niemand mehr den Lift braucht, im Sommer Bauern oder sie sind pensioniert.

 

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Atemlos geht es dann doch nicht bergwärts, sondern ziemlich langsam oder besser: gemütlich, wie das so ist bei einem Lift mit Bügeln, hier in Pany, in diesem kleinen Dorf 1250 m ü. M. auf dem sonnenbeleuchteten Hang oberhalb von Küblis im Prättigau. «E hübsche Tag» sagen sie alle in dieser Gegend, auch im Volg, dem einzigen Laden im Dorf, wenn man morgens das frische Brot holt.

«E hübsche Tag» hat der Mann mit den Bügeln vor einem Jahr vielleicht auch gesagt, es war der 24. Februar 2022. Ich war damals ebenfalls in Pany, die Sonne schien von einem blauen Himmel, und ich fuhr mit dem Lift rauf und dann hinunter; man ist viel, viel schneller unten als oben, man hat eigentlich das Gefühl, man sei ständig beim Mann mit dem Bügel.

Ich
trug auch damals wie diesmal Kopfhörer, doch damals hörte ich nicht Musik, sondern Radio, SRF 1, und ständig die verstörenden Nachrichten, von früh morgens an, beim Erwachen hatten ganz viele Push-Nachrichten aufgeleuchtet. Und wir alle wollten nicht glauben, was wir hörten, es schien, trotz Vorzeichen, noch immer undenkbar: Krieg! Krieg in Europa! Ganz in unserer Nähe, die Russen waren mit Panzern einmarschiert, begannen ihren fürchterlichen und verbrecherischen Angriffskrieg bei einem Brudervolk, mitten in der Nacht.

Es war ein Donnerstag, und in der «Weltwoche» schrieb RK in seinem Blatt von Putin, dem Missverstandenen, und vielleicht, hoffentlich sei er der Schock, der den Westen brauche, um wieder zur Vernunft zu kommen; er entlarve den hohen Moralismus seiner Gegner und die Dekadenz des Westens.

Weltwoche vom 24. Februar 2022

So war es an diesem Tag, und daran denke ich heute, wieder auf dem Lift, ein Jahr später. Ich scrolle nachher im Güggelstein, dem Restaurant, auf meinem Handy zu den Fotos vom 24. Feb. 2022 und finde neben einer Friedenstaube, die damals viele verschickt hatten, auch einen Spruch, den ich irgendwo gefunden haben musste, vom deutsch-amerikanischen Schriftsteller Erich Maria Remarque: «Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hingehen müssen.»

Es hatte vor einem Jahr mehr Schnee in Pany, jetzt sind die Hänge fast überall grün, und Skifahren kann man nur noch, weil sie zwei kleine Schneekanonen haben, die sie, als es einmal kalt war, eingesetzt hatten. 1000 Franken pro Nacht habe es gekostet, 20 Tage waren sie in Betrieb, und davon zehren sie nun, wenn es längst mehr Frühling als Winter ist.

Auch in Pany: Schnee nur dank Schneekanonen

Schneekanonen, das tönt so lieblich in dieser Zeit, in der in den Zeitungen von Panzern, Munition und Kampfflugzeugen geschrieben wird, und während ich zum x-ten Mal mit dem Lift hochfahre, höre ich auf Spotify verschiedene Songs von Bob Dylan, er singt sein berühmtes «Masters of War», in dem er diejenigen kritisiert, die Waffen liefern, um Kriege zu führen. Dylan war 21, als er das Lied 1963 schrieb, es beginnt so:

Kommt, ihr Meister des Krieges/
ihr, die ihr die grossen Kanonen baut/
ihr, die die Todesflugzeuge baut/
ihr, die ihr alle Bomben baut/
ihr, die ihr euch hinter Masken versteckt/
ihr, die ihr euch hinter Schreibtischen versteckt/

Ich möchte nur, dass ihr wisst/
dass ich durch eure Masken sehen kann.

Oben, beim Lift angekommen am Hüendleri in Pany, sitzt einer friedlich auf einer Holzbank vor einer kleinen Hütte, eine Zigarette im Mund, auch hier kommt Musik aus einem Radio, Ländlermusik, offenbar hat der Mann heute seinen Dienst hier oben, an einem anderen Tag war er der Anbügler unten gewesen. Er ruft es nicht, aber er hat ein Strahlen in seinem Gesicht und scheint es durch seine Mimik zu sagen: «E hübsche Tag».

So ist es an diesem 24. Februar 2023. Ein Jahr ist vergangen. Und RK denkt immer noch gleich und sieht nur noch Trump als Hoffnungsträger für einen Frieden, fragt sich, ob die Russen das Völkerrecht überhaupt verletzt hätten und redet davon, dass ja die Ukrainer den Krieg begonnen haben, 2014.

Ich lese in der NZZ einen langen Text des ukrainischen Schriftstellers Sergei Gerasimow. Er schreibt: «Das vergangene Jahr war wie ein Wolkenbruch, wie ein riesiger Schneesturm aus Unglauben, Verwirrung, Fassungslosigkeit und Verstörung. Der grösste Schock war der Beginn des Krieges, der erste Tag – so wenigstens kam es mir am ersten Tag vor. Aber dann kam der zweite Tag, und auch er war ungeheuerlich. Dann der dritte, der vierte, der hundertste. Manchmal, wenn es scheint, dass nichts auf dieser Welt mehr überraschen kann, halte ich inne, brüte vor mich hin und denke, dass das, was ich wahrnehme, unmöglich ist, weil es niemals vorkommen oder von einem Menschen einem anderen Menschen angetan werden kann.»

Heile Skiwelt

Hier oben, in diesem Februar 2023, an den mehr grünen als weissen Hängen von Pany und mit den Büglern am Lift, ist die Welt noch heil. «E hübsche Tag» – es tut gut. Und doch fällt es manchmal nicht leicht, es einfach anzunehmen, dass es einem gut tut. Bei diesen Bildern, die auch so nahe sind.

Als er am Abend vor Kriegsbeginn zu Bett ging, schreibt Gerasimow, sei die Welt noch weise und schön geordnet gewesen. Und Alice Schwarzer sagt beim Tagesgespräch im Radio SRF: «Dieser Krieg ist der Gipfel des Männlichkeitswahn.»
 

PS: Wie Youtube mitteilt, ist die Audio-Version des Blogs in einigen Ländern gesperrt. «Blockierte Länder: Russia» steht im Mail.  Der Grund: Der Song von Bob Dylan.
 
 
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