Theater um E-Mails



Es ist ein Februar im Jahr 2030, die Premiere eines Theaterstücks im Klubsaal des Kaufleuten in Zürich, die Tickets waren innert Stunden weg, und die Organisatoren suchen verzweifelt nach Daten, an denen sie es nochmals aufführen können. «Der Politskandal» ist der Haupttitel, darunter, auf den Plakaten und im Internet, gedruckte Zeitungen gibt es leider nur noch wenige, etwas kleiner: « … der aber keiner war. Eine E-Mail-Komödie.»


Alain Berset und Marc Walder treten auf, in einer Nebenrolle Peter Lauener, der seine Haare ebenfalls abrasiert hat, es sei für das Stück wichtig, damit nicht immer klar ist, wer nun welche Rolle spielt. Alle drei, vorne auf der Bühne Berset und Walder, dahinter Lauener, der aber manchmal auch den Stuhl von Berset einnimmt, sitzen an einem Pult vor ihren Computern. Was sie schreiben, wird jeweils auf der Bühne auf einem Screen übertragen.

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Alt-Bundesrat Berset ist inzwischen als Verwaltungsrat in verschiedenen Firmen tätig, unter anderem bei Ringier und als Hobbypilot auch bei Air Glaciers; Marc Walder, der ehemalige CEO, ist jetzt Verwaltungsratspräsident von Ringier, die beiden sind also nun auch beruflich und offiziell eng verbunden. Peter Lauener leitet die Kommunikationsstelle des Verlags.


(Ver)Wirrungen mit E-Mails

Es könnte ja so sein. Das denke ich, an diesem Abend, auch im Kaufleuten, es ist ebenfalls bis auf den letzten Platz gefüllt. Gespielt wird «Gut gegen Nordwind», die Theaterfassung des wunderbaren Buchs des Wiener Autors Daniel Glattauer. Ein Roman, der vom Anfang bis zum Ende nur aus E-Mails besteht, die sich zwei Menschen, sie verheiratet, er frisch getrennt, einander zuschicken; es ist eine Geschichte über das Verliebtsein oder wie Liebe entsteht und was sie auslöst, zufällig aufgeflackt, aus einem Irrtum heraus. Nämlich mit einem Tippfehler.

Eine Frau, sie stellt sich später als Emmi Rothner vor, wählt bei der E-Mail-Adresse einen falschen Buchstaben, als sie das Abonnement einer Zeitschrift kündigen will. Ein Mann, namens Leo Leike, der falsche Empfänger, meldet sich nach x-Versuchen: «Sie sind bei mir falsch. Ich bin privat. Sie sind schon der Dritte, der bei mir abbestellen will. Das Heft muss wirklich schlecht geworden sein.»

Es entwickelt sich ein wunderbarer Dialog, witzig in der Sprache, mit grösster Spannung, schlagfertig, voller Missverständnisse, aber auch immer stärker werdenden Leidenschaft, im Buch und auch in der Theaterfassung, im Kaufleuten gespielt von den grossartigen Schauspielern Alexandra Kamp und Ronald Spiess. «Wir kennen uns zwar fast noch weniger als überhaupt nicht» steht am Anfang, später mit Dialogen, manchmal im Minutentakt, wie diesem, als Emmi eines Nachts schreibt: «Leo, seien wir doch ehrlich. Ich bin für Sie wie Telefonsex, nur halt ohne Sex und ohne Telefon. Das ist doch krank, oder? Sollten wir nicht Schluss machen.» Und auch das ist eine der Nachrichten: «Wir können das nicht leben, was wir schreiben.» Oder: «Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf.»

Der Mail-Verkehr zwischen Walder und Lauener (aus «Schweiz am Wochenende»)

Sie machen nicht Schluss, aber die beiden lernen sich nie persönlich kennen, zuletzt geht er an eine Universität in Boston und bricht den Kontakt ab. Als letztes E-Mail des Romans erscheint die Mitteilung des Systemmanagers: «Achtung. Geänderte E-Mail-Adresse. Der Empfänger kann seine Post unter der gewählten Adresse nicht mehr aufrufen. Neue E-Mails im Posteingang werden automatisch gelöscht. Für Rückfragen steht der Systemmanager nicht zur Verfügung.»

Das könnte auch der Schluss sein des Theaterstücks, das in diesem Februar 2030 mit Berset und Walder (und Lauener) im Kaufleuten aufgeführt wird. Besser, für alle, wäre es vielleicht gewesen, wenn die Meldung des Systemmanagers gleich zu Beginn, nach dem ersten E-Mail von Bern nach Zürich, aufgeleuchtet wäre: «Kein Empfang unter dieser Nummer.»

Aber dann hätte es diese wunderbaren Theaterstücke, einmal um Liebe, bei «Gut gegen Nordwind» in dieser Woche, einmal, 2030, um Politik, beim Skandal, der eher eine Komödie ist, nie gegeben. Und, übrigens: Emmi und Leo und auch Alain und Marc und Peter sind in ihrem E-Mail-Verkehr immer per Sie. Obwohl sie sich so nahe sind.


Gut gegen Nordwind. - Roman von Daniel Glattauer, 288 Seiten. - Verlag Goldmann.

Gut gegen Nordwind als Theater. Nächste Auftritte u.a. in Darmstadt und Berlin.

Politaffäre Berset-Walder-Lauener: Täglich in den Medien.
 
 
 
 
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