In diesen Zeiten


Es war, vor fast genau drei Jahren, das erste Kapitel in meinem Blog. Weitere 23 Kapitel folgten, «In diesen Zeiten» war jeweils das Thema – Gedanken zur Zeit in der wir damals lebten. Alles war plötzlich anders. Die Geschichte und mein Blog begann so:

«Es war, heute scheint es, als wäre es schon lange her, doch es war erst vor kurzem, es war im Januar, der Winter war damals bereits ein Frühling. In den Zeitungen standen nur kleine Meldungen, unter Vermischtes, im Radio bei den Nachrichten meistens am Ende, kurz vor der Börse und dem Wetter.

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In einer Stadt in China, wir haben den Namen vorher noch nie gehört und erst später wurde sie zu einem Begriff: Wuhan – in dieser Stadt, und es war von einem Wildtiermarkt und Fledermäusen die Rede, sollen Leute an einem Virus erkrankt sein; einige wenige, jeden Tag aber mehr, die ersten Toten, mehr Tote.

Wir lasen und hörten die Meldung und vergassen es wieder. China ist weit, weit weg, das neue Jahr hat eben begonnen. 2020, was für eine schöne Zahl: Zwanzig-zwanzig, es soll ein gutes Jahr werden.»

Das Kapitel V. lautete dann:

«Es ist nichts mehr, wie es war. Und alle fragen sich, wird es jemals wieder sein, wie es war? Und einige sagen, es ist gut, dass es nicht mehr sein wird, wie es gewesen war, wir sind zu schnell, zu oberflächlich, zu selbstverständlich, zu zerstörerisch durch die Welt gerannt. Wir haben nicht mehr geschätzt, was wir haben. Wir waren habgierig. Rücksichtslos.

Und das nächste Kapitel (VI.)

«Die Frau in der Bäckerei im Zürcher Seefeld, hinter Glas von mir abgetrennt, lächelte, ich habe nur ein Brot gekauft und noch zwei Osterchüechli, wollte das eigentlich gar nicht, und dann habe ich noch einen Cappuccino bestellt. Trinken durfte ich ihn erst draussen, auf der Strasse, ein leeres 2er-Tram fuhr vorbei – aber die Frau, die ich nicht kenne, hat so lieb gelächelt, sich herzlich bedankt, dass ich etwas gekauft habe. Schön, dass sie gekommen sind, sagte sie.

Dieses Virus verändert uns.»


Bleiben Sie zu Hause: Sechseläutenplatz

Und dann nachher (Kapitel VII.) nur diesen Satz:

«Für wie lange?»

Das Kapitel XII:

«Wir haben Angst. Sind verunsichert. Hören das. Und dies. Und wissen längst nicht mehr, was wir wissen wollen und sollen. Weil es niemand weiss. Oder viele ganz vieles zu wissen glauben. Und uns mehr verunsichern als aufklären. Weil alles so ungewiss ist.»

Bleiben Sie zu Hause, hiess es.

Und das Kapitel XXI:

«Naiv, solche Gedanken zu haben?

Ich bin gerne naiv, in diesen Zeiten. In der «Tagesschau» am Fernsehen wurde ein Film gezeigt, wie Entwickler und Ingenieure, die sich sonst mit der Formel 1 beschäftigen, begonnen haben, Atemgeräte zu bauen, die überall dringend benötigt werden. Keine neuen Motoren mehr und supertechnische Finessen an den Boliden, sondern Teile, die Leben retten. Grossartig.

Und so denke ich, eben naiv, wie es wäre, wenn all die Raketenbauer und Bombenbauer und Waffenbauer und Panzerbauer und Kampfjetbauer sofort aufhören und ihr technisches Wissen ebenfalls für anders einsetzen würden?»

Das alles lese ich nochmals, in den heutigen Zeiten über diese Zeiten damals, es ist doch gar nicht so lange her, scheint es; Corona ist immer noch und doch kaum mehr in unseren – wenigstens hier bei uns – Köpfen, dafür hat vor einem Jahr ein fürchterlicher Angriffskrieg der Russen begonnen, neues Leid.

Und an diesem Samstag, 14. Januar, heisst die Schlagzeile auf der Frontseite der Sonntagsausgabe der «Frankfurter Allgemeinen»: «Europa braucht mehr Rüstungsfabriken.» Man müsse die Produktion von Waffen dringend hochfahren.“

Schrecklich.

Es ist nichts mehr, wie es war. Und wir wissen jetzt, dass es nie mehr sein wird, wie es war.

«Angst ist auch ein Virus» war damals ein Titel im Wochenmagazin «Die Zeit».

Und ja, wir haben nicht mehr geschätzt, was wir hatten.

 
 
 
 
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